Der heimliche Reiz des Ekels

■ Martin Parr ist Fotograf. Seine Bilder sind erschreckend und komisch zugleich. Dafür hat er einen Preis gewonnen und stellt mit sechs KollegInnen jetzt in der Kunsthalle aus

Der Fotograf Martin Parr ist kein Schwarz-Weiß-Maler. Und ein plumper Fast-Food-Hasser ist er auch nicht: „Ich sage nicht: Hamburger sind scheußlich. Ich genehmige mir selbst hin und wieder einen“, gestand der 1952 geborene Brite in einem Interview. Trotzdem fotografiert er Hamburger, Giros, Bratwürste und weitere Errungenschaften der Imbissgastronomie auf eine keinesfalls Appetit machende Art: Bewaffnet mit Makroobjektiv und selbst bei Tageslicht eingesetztem Ringblitz rückt er der Fast-Food-Gesellschaft auf die Pelle und gruppiert die Bilder zu einem zugleich witzigen, untergründig moralischen und vor allem an die Grenzen des Ekels getriebenen Cocktail.

Mit seiner Fast-Food-Reihe „Common Sense“ und anderen Bildserien hat Martin Parr inzwischen fast alles erreicht, was ein Fotograf heutzutage erreichen kann. Er verkauft an Werbeagenturen, stellt in renommierten Galerien aus, wird in Magazinen gedruckt, ist Mitglied der ruhmreichen Agentur Magnum und hat eine ideale und lukrative Verbindung von Kunst und Kom-merz geknüpft. Nur ein Preis fehlte noch, doch den hat er jetzt auch bekommen: Martin Parr ist der erste Träger des Wilkens Photography Award der Bremer Silbermanufaktur M. H. Wilkens & Söhne, was ihm neben 10.000 Mark jetzt auch die Teilnahme an einer sehenswerten Gruppenausstellung in der Bremer Kunsthalle beschert.

Die Jury dieses erstmals ausgeschriebenen Wettbewerbs hat neben Parr noch sechs weitere junge oder von den KunstgeschichtlerInnen immer noch als „Vertreter der jungen Generation“ gehandelte FotokünstlerInnen zur Teilnahme eingeladen. Das Thema „Tischsitten: Rituale, Speisen, Gesellschaft, Luxus“ hatte sie vorgegeben. Das klingt auf den ersten Blick verdächtig nahe liegend. Denn der Sponsor Wilkens ist ein Hersteller von Silberwaren und Essbestecken. Doch der seit zwei Jahren als Geschäftsführer des Tochterunternehmens von Zwilling tätige Gosbert Gottmann wehrt solch einen Verdacht gelassen ab: „Wir wollen keinen Wettbewerb, in dem sich die Firma zu sehr einmischt.“ Der fortan alle zwei Jahre ausgeschriebene Preis, so kündigt Gottmann an, wird deshalb auch nicht immer mit dem Thema Essen zu tun haben.

Vielleicht sollte er es aber. Auf jeden Fall ist eine Themenvorgabe empfehlenswert. Denn die sieben teilnehmenden FotografInnen blicken aus sieben unterschiedlichen Richtungen auf Tisch und Tresen. Und zugleich spannen sie einen Bogen von fotokünstlerischen Positionen, die heute aktuell sind. Oder es gerade noch oder gerade erst oder vielleicht bald schon wieder sind. Denn in kaum einer künstlerischen Disziplin gibt es solch ein Nebeneinander der Strömungen. Und in kaum einer Disziplin sind die Grenzen von Kunst und Kommerz, von Kunst an sich und Verwertung so fließend wie in der Fotografie. Im Zwang, in der Werbeflut überhaupt noch aufzufallen, ist das Schräge, Künstlerische und scheinbar Unpassende bei den so genannten Kreativen heiß begehrt – auch wenn sie sich damit bei ihren Auftraggebern noch selten durchsetzen können.

Nicht von ungefähr lebt der Preisträger Martin Parr auch von Werbeaufträgen. Als Vertreter der „New British Photography“ hat er die Farbe ins fotojournalistische Bild gebracht. Er hält drauf, bevorzugt den Ausschnitt und lässt durch sein Blitzlicht die Farben künstlich wirken. Ein Foto zeigt ein Paar unter den Fingernägeln dreckiger Hände, die einen Bagel umgreifen. Ein anderes zeigt das angeschnittene Gesicht eines Mannes, der mit dem Verzehr einer Portion Giros kämpft. Diese ironische und doch so etwas wie einen Kulturverlust beklagende Sicht auf die Dinge und die ganz normale Verrohung des Menschen kontrastiert Parr mit Bildern einer Gegenwelt, die auch nicht besser wegkommt: Von oben herab fotografiert er eine Frau mit Blumenhut vor einer Blümchentischdecke – die Kultiviertheit wirkt so nur noch lächerlich. Beim Betrachten kann einem schon übel werden, wenn's nicht zugleich komisch wäre, wie Parr uns einen Spiegel vorhält.

Ohnehin spießen Parr und die anderen sechs FotografInnen gesellschaftliche Zustände sehr viel genauer auf als die meisten ihrer KollegInnen von der bildenden Kunst. Da ist Larry Fink, der seine Schnappschüsse auf Wohltätig-keitsveranstaltungen und Partys der Schönen und Reichen macht. Seine Bilder wirken heute schon fast traditionell. Ihm gegenüber hängen Selbstinszenierungen des Hong-Kong-Chinesen Kary KaChe Kwok, in denen er anhand von Speis, Trank und Kostümen mit westlicher und asiatischer (Ess-) Kultur spielt. Der Zukunft der Vergangenheit zugewandt sind Peter Granser mit seinen Bildern aus einer Butlerschule und Sarah Moon mit ihren Szenen aus meist menschenleeren Cafés. Sie spielen mit Vergänglichkeit und Verfall – doch nicht zuletzt der Erfolg von Buena Vista Social Club zeigt, dass vor dem Ende ein Comeback kommt. Das Comeback des „Altmeisterlichen“ zum Beispiel: Die Fotografin Lynn Bianchi etwa lässt Frauen an einem Tisch alltägliche Dinge tun, doch ihre Bilder wirken in der Körnigkeit malerisch und die Szenen ironisch und rührend-poetisch. Gerhard Vormwald schließlich hebt in seinen Bildern von Genuss- und Nahrungsmitteln die Schwerkraft auf und formt aus Salz, Wasser oder Zigarettenkippen bizarre Fotoskulpturen.

Ein Gang durch diese Ausstellung macht schlicht Spaß. Doch was hat eine Firma wie Wilkens von solch einem Wettbewerb? Neben der Allerweltsweisheit, dass Werbung auch teuer ist, will die 1810 gegründete Silberschmiede etwas für ihr Image tun: Nach ihrem Konkurs 1995 und der Übernahme durch Zwilling steuert sie jetzt wieder in die Gewinnzone. Doch Geschäftsführer Gosbert Gottmann hat seine wichtigste Lehre aus den Arbeiten Martin Parrs gezogen: „Sie machen mir klar, warum es teure Bestecke heutzutage so schwer haben.“ Sponsoring kann eben auch klug machen – die SpenderInnen und gewöhnliche Menschen.

Christoph Köster

Wilkens Photography Award bis 5. Dezember in der Kunsthalle Bremen, danach im Foto Forum International in Frankfurt/Main