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Aids mal anders (1): Mixed Day im Pharmadies    ■ Von Holger Wicht

Ich habe das Pharmadies gesehen. Leider nur im Fernsehen, wo dafür geworben wurde. Es war nämlich 1. Dezember, Welt-Aids-Tag. Für die lieben Aids-Kranken und andere chronisch Geplagte gab es eine schmuck angegoldete Medikamentenuhr mit Signalfunktion für acht Einnahmezeiten. Schon damals schwante mir Übelstes: Piep Piep Piep, die Apotheke hat dich lieb! Ja, ich habe das Pharmadies gesehen, im Werbeblock auf RTL, um den herum Tom Hanks in Philadelphia den Sterbenden mimte. In Philadelphia gibt es leider kein Pharmadies, denn Pharmadiese, so die Werbung, gibt es nur in deutschen Apotheken.

Ein deutscher Apotheker war es auch, der unlängst die Treppen eines Berliner Mietshauses erklomm, in der Hand ein üppiges Blumengebinde. Zugedacht war es einem lieben Freund von mir, der Geburtstag hatte und umgehend empört die Presse, also mich, informierte. Denn nicht Herzlichkeit war der Grund für den Hausbesuch, sondern HIV. Schließlich trägt der Freund alle paar Wochen einige tausend Mark in die Apotheke – da ist er als Kunde natürliche König wie Gott in Frankreich oder so ähnlich. Als König oder Gott wird er ohnehin mit allerlei Opferritualen belästigt und hat deswegen sogar schon einmal die Apotheke gewechselt: Immer diese triefend freundlichen Dreingaben – zum Beispiel eines wohlriechenden Shampoos der gehobenen Preisklasse. Andere Apotheken halten ihre hochkarätige HIV-Kundschaft mit Preisnachlässen bei Laune: auf Nasenhaarschneider zum Beispiel.

Apotheker ante portas! Der militant loyale Angriff auf die HIV-Patienten erscheint den Dealern offenbar als die beste Verteidigung gegen das dräuende Unheil der Gesundheitsreform. Massenhaft werden die roten Aids-Schleifen in Werbungen montiert, und die Regenbogenfahne der Schwulen- und Lesbenbewegung signalisiert ausgesuchte Randgruppenfreundlichkeit: Wer eine Apotheke sucht, schaut mittlerweile besser in eine schwule Zeitschrift als in die Gelben Seiten. Da muss freilich schleunigst ordentlich Credibility her! Schließlich ist der Homosexuelle an sich als hedonistischer Party-Hopper bekannt – und so einen begeistert man gewiss nicht mit den altbackenen Mitteln der Anti-Inkontinenz-Promotion für Oma und Opa.

Folgerichtig mutet die Visitenkarte manch einer Apotheke heute an wie ein Flyer für einen DJ-Sauna-Club in einem extrem angesagten Spaßbad: „Unsere festen Termine: Mo: Powerday – 3 Apotheker für Euch / Di: Männertag – Müller/Kramer und ihre Crew / Mi: Women behind the counter / Do: Mixed day / Fr: Männertag – Müller/Kramer und ihre Crew.“ So warb tatsächlich einmal die Berliner Gethsemane-Apotheke partytechnisch korrekt für ihren Pillenvertrieb. Und rüstet noch auf: „Ab sofort stehen euch 3 Jungs und ihre fleißigen Bienen mit Rat und Tat zur Seite“, warnte eine der letzten Anzeigen. „3 Jungs“ natürlich hervorgehoben. Schwule wollen ja immer Jungs.

Ja, ich habe das Pharmadies gesehen – zum Glück nur im Fernsehen. Sollte ich einmal tatsächlich hineingeraten, werde ich eine Packung Apfeldragees kaufen, herzhaft hineinbeißen und hoffen, dass der alte Trick mit der Vertreibung noch funktioniert.

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