In Fußballland

■ Christoph Biermann

Wie und was denkt der Fußballprofi eigentlich, fragen wir uns gelegentlich und bekommen kaum eine taugliche Antwort. Wie wir auch nicht wirklich wissen, was der Ostdeutsche oder der mittlere Angestellte denkt – geschweige denn die Jugend. In dieser unbefriedigenden Situation tröstet uns die Demoskopie, zu deren wichtigstem Handwerkszeug der Fragebogen gehört. Weil einen solchen beantwortet zu lesen aber auch viel Spaß macht, finden wir Fragebögen in unterschiedlichster Form („... den Marcel Proust zweimal in seinem Leben ...“) an den erstaunlichsten Orten. Einer davon ist die Sonderpublikation „MSV 2000“, mit der sich uns der Duisburger Bundesligist vorstellt und dabei im „Spieler Fragebogen A-Z“ einen weitreichenden Einblick in das Denken und Fühlen der Berufskicker gestattet.

Rosen, Zahnpasta, Bundesgrenzschutz und Gott – wie Fußballprofis fühlen

Bereits in der Rubrik „Erlernter Beruf“ finden wir neben ganz normalen Bürokaufmännern und Zerspanungsmechanikern häufig den verblüffenden Nicht-Beruf „–“. Offensichtlich gehen Fußballprofis davon aus, dass sie als Fußballprofis nichts gelernt haben. Macht sie das so romantisch, dass 15 von 29 die Rose als ihre Lieblingsblume nennen? Oder verwirrt es bei der Frage danach, welche drei Sachen sie mit auf eine einsame Insel mitnehmen würden. Witzbolde nennen ein Boot für die Rückfahrt, fast alle diverse Freundinnen, Frauen, Kinder und Haustiere, nur Aushilfsstürmer Bugera legt Wert auf Zahnbürste und Zahnpasta.

Anlässlich der Lieblingsgestalten in der Geschichte kalauert Angreifer Uwe Spies „Asterix und Obelix“, Kollege Horst Steffen scherzt „Herr Pichler aus Benjamin Blümchens Nachtgeschichten“, und Torsten Wohlert nennt einen „H. Kohl“. Noch bemerkenswerter ist aber die Antwort von Gintaras Stauce. Der Mann aus Litauen nennt den Romancier Remarque und – Gott. Der religiös tief verwurzelte Wächter des Tores neigt überdies zu feinen Nuancierungen. Welche Eigenschaften er bei einem Fußballer am meisten schätzt, wird er gefragt. Und während seine Kollegen voraussehbar von Kampfgeist, Spielintelligenz oder Willensstärke sprechen, antwortet Stauce: „Muss ein guter Mensch sein.“ Das sitzt! Bei der Frage, welche Eigenschaft er an einer Frau am meisten schätzt, sagt er: „Soll ein guter Mensch sein.“ Welche besonderen Unterschiede da zwischen Mann und Frau bzw. Sollen und Müssen bestehen, lässt der Fragebogen leider offen.

Wer oder was wir gerne wären, fragen wir uns alle gelegentlich. Und mancher wäre gerne Fußballprofi, wie auch Stürmer Markus Beierle. Aber Herr Beierle, Sie sind es doch schon. Die Schöngeister Spies und Michael Zeyer wären gerne Schriftsteller bzw. Musiker, und Martin Schneider kommt bei allem Training offensichtlich nicht genug ins Grüne. Er würde als Postbote arbeiten, denn „der ist immer in der Natur mit dem Fahrrad“. Besonders geheimnisvoll ist die Antwort von Wohlert. Der gelernte Gas-und-Wasser-Installateur wäre nur zu gerne Bundesgrenzschutzbeamter. Über Beziehungen zu seiner Arbeit als verbissen kämpfenden Verteidiger (Tor dicht – Grenzen dicht) können wir nur spekulieren.

Was aber verabscheuen Sie am meisten? Alexander Bugera, der mit der Zahnbürste, nennt ohne Umwege die „Staus auf der Autobahn“. Markus Osthoff hingegen weiß die großen und die kleinen Themen zusammenzubringen, denn er verabscheut „Unehrlichkeit, Ungerechtigkeit, Krieg und Spinat“.

Zum Schluss der erhellenden Erhebung geben die MSV-Kicker ihre Lebensmotti preis und damit den Blick aufs große Ganze. Nicht an Wiedergeburt glaubt der Däne Stig Töfting, denn er geht mit der Vorgabe „Ich habe nur ein Leben“ durch selbiges. Der 19-jährige Sercan Güvenisik dagegen belastet sich mit solch grundsätzlichen Überlegungen nicht, ihm reicht ein schwungvolles: „Sercan vor, noch ein Tor.“ Doch wird er auch in Zukunft der baltischen Schwere eines Gintaras Stauce entgehen könen? Dieser bestreitet seine Existenz mit der Vorgabe: „Jeden Tag ist das Leben wieder kürzer.“ Was wohl stimmt, und jetzt sind auch schon wieder fünf Minuten um.