Obstalarm in San Siro

■ Nach dem 1:1 gegen Hertha BSC fühlt sich der ruhmreiche AC Mailand betrogen

Mailand (taz) – Sie wissen genau beim AC Mailand, warum sie einen mobilen Tunnel aufstellen, um vom Rasen ins Innere des Meazza-Stadions zu kommen. Das Kunststoffgebilde schützt Spieler und Schiedsrichter vor unliebsamer Bekanntschaft mit italienischen Südfrüchten.

Am Dienstagabend wäre wieder einmal die Zeit reif gewesen für einen Hagel aus Zitronen, Orangen und Bananen, weil sich die Milanisti nach dem 1:1 im Champions-League-Match gegen Hertha BSC um den Sieg geprellt fühlten. Tifosi, Klubverantwortliche und italienische Journalisten waren sich einig: Unter gütiger Mithilfe des französischen Schiedsrichters Gilles Veissiere hatte der Gegner einen Punkt gestohlen. Die Fans pfiffen, Milan-Trainer Alberto Zaccheroni attestierte Hertha, „nur versucht zu haben, kein Tor zu schießen“, und der Corriere della Sera schrieb gestern: „Die alten verrosteten deutschen Haudegen schaffen es immer wieder, den italienischen Fußball in Schwierigkeiten zu bringen. Dass man dann noch den altertümlichsten Catenaccio ertragen muss, geht wirklich zu weit.“ Tief saß der Frust.

Monsieur Veissiere hatte lediglich die Dreistigkeit besessen, Mailänder Flugaktionen und gestenreiche Proteste mit Gelben Karten statt mit Freistößen zu belohnen. Doch wie er ließen sich auch die Berliner nicht von italienischem Gejammer irritieren. Keiner beschönigte den eigenen Auftritt, jeder stand zur kompakten Defensive, und eingestanden wurde auch, dass man weniger als erhofft zu eigenen Angriffen gekommen war. Geschickt verpackten die Herthaner ihre Ansichten in Komplimente an den Gegner, es war viel die Rede von der „Weltklassemannschaft Milan“, von „Weltklassespielern wie Leonardo, Schewtschenko“. Eher leise wurden Meinungen artikuliert, aus denen man die wahre Zufriedenheit über die eigene Leistung, die eigene Geschicklichkeit, die eigene Cleverness heraushören konnte. Dieter Hoeneß etwa, der Manager: „Natürlich standen wir unter Druck, aber Angst hatte ich keine, weil Milan ja fast zu keiner hundertprozentigen Chance kam.“ Oder Sebastian Deisler: „Nach vorne ging zwar wenig, aber nach hinten hatten wir sie alle gut im Griff.“ Oder Gabor Kiraly, der Torhüter, der nur zweimal sein ganzes Können aufbieten musste: „Wir haben in der Defensive überragend gespielt.“

Um was sonst hätte es den Berlinern auch gehen sollen in Mailand als um eine geordnete Abwehrleistung? „Hier kann man nicht hingehen und stürmen“, sagte Hoeneß. „Ein Punkt hier ist wie drei Punkte anderswo“, formulierte es Kiraly. „Die Vorrunde ist vorbei, wir haben noch nicht verloren und sind Tabellenführer, das hätte ich nicht gedacht, das hätte niemand gedacht“, stellte ein sichtlich zufriedener Trainer Jürgen Röber fest.

Beim späteren Bankett im gediegenen Ambiente eines Mailänder Tophotels wurde ein Glas gehoben auf den gelungenen Abend. In einer Schüssel am Rande des Büfetts lagen Südfrüchte. Da, wo sie hingehören. Ralf Mittmann