Die neuen Wahlkämpfer

■  Geld und schöne Reden allein reichen nicht mehr: In den USA haben die Politiker gelernt, dass sie im Internet gewinnen müssen

Ted Kennedy war der erste amerikanische Politiker mit einer eigenen Internetseite. Das war 1994. Kennedy war offline stets ein Medienereignis, doch der politische Nutzen seiner digitalen Eigenwerbung wurde bezweifelt. Auch in den USA nutzten damals noch zuwenige das Internet. Heute dagegen tobt der Wahlkampf der neuen Präsidentschaftskandidaten im Web lauter als auf der Straße. „E-Campaigning“ heißt das Stichwort, und gemeint ist nicht mehr nur ein nettes Zusatzprodukt. Im Internet können sich Wahlbürger nicht informieren, sondern auch kommunizieren und sich selbst organisieren. Wer gewinnen will, muss in diesem Wilden Westen antreten, in einer Welt, in der die traditionellen Regeln des amerikanischen Wahlkampfes nicht mehr gelten – aber die interessieren die politikmüden Amerikaner ohnehin nicht mehr. Sogar darüber, dass die Wahlkampfspenden noch nie höher waren als heute, regt sich niemand mehr auf. Das Geld ist nicht mehr allein entscheidend. Ebenso wichtig ist das Wissen über die effektive Nutzung des virtuellen Raumes.

Steve Forbes, Verleger und Möchtegernkandidat der Republikaner, hat einen besonders smarten Webmaster angeheuert. Von seinem Büro in Cincinnati aus hat Rick Segal die Vorwahl im Bundesstaat Iowa organisiert. Er hatte die Idee, die Datenbank des Wahlkampfbüros in Maryland, die E-Mail-Adressen von mehr als 32.000 Unterstützern von Forbes enthält, für einen sogenannten swarming effect zu benutzen. Alle 32.000 erhielten eine Mail, in der sie nicht nur gebeten wurden, nach Ames zu kommen und Steve Forbes ihre Stimme zu geben. Sie sollten außerdem ihre Adressenlisten nach Freunden und Bekannten in Iowa zu durchsuchen, an die sie diese Botschaft ebenfalls weiterleiten könnten. Etwa 250 Stimmen von den insgesamt 5.000 für Forbes sollen so zustande gekommen sein – Forbes kam auf den zweiten Platz.

The winner takes it all. Ein paar Prozent mehr oder weniger sind entscheidend, und die Internetauftritte der Kandidaten haben sich von eindimensionalen Wahlplakaten zu komplexen Elementen eines modernen Imagemanagements gemausert. Amerikanische Politiker haben gelernt, dass sie das Internet nicht als Einbahnstraße nutzen dürfen. Sie lassen interaktive Elemente programmieren und beachten bei der Themenauswahl die Kultur des Netzes, indem sie in Chat-Räumen ihre Ansichten über Redefreiheit und Besteuerung des E-Commerce zur Diskussion stellen.

George W. Bush, Sohn des ehemaligen Präsidenten Bush und vielversprechender Kandidat der Republikaner, setzt auf Transparenz. Auf seiner Wahlkampfsite ist die Liste aller Geldgeber einsehbar. Der für amerikanische Verhältnisse mutige Schritt hat ihm in den Medien schon erhebliche Vertrauenspluspunkte eingebracht. Andere lassen sich lieber einiges einfallen lassen, um auch über das Netz an das Spendengeld zu kommen. Sie haben eine Funktion für Online-Überweisungen in ihre Websites eingebaut. Als ein ehemaliger Ringkämpfer und heftiger Befürworter der Todesstrafe zum Amt des Gouverneurs von Minnesota kandidierte, eröffnete er erst gar kein Wahlkampfbüro. Er verließ sich lieber auf eine immer größer werdende Mailingliste. Zwei Drittel seiner Spendengelder hat er online eingesammelt. Auch seine dreitägige Wahlkampftour wurde per E-Mail organisiert.

Doch ausgerechnet der besonders um seinen Ruf als Saubermann in Spendenfragen bemühte George W. Bush bekam zu spüren, dass das Internet die Regeln traditioneller Politik nicht nur zu seinen Gunsten verändert. Die unmittelbare Kommunikation mit dem Wähler hat ihre Kehrseiten. Ein 29 Jahre alter Programmierer aus Boston bot dem Kandidaten für 350.000 Dollar die Webadresse „gwbush.com“ an, die er bereits hatte registrieren lassen. Bush lehnte indigniert ab – nun kann man unter dieser Adresse die Vergangenheit des Präsidentensohnes bewundern: Ein manipuliertes Bild zeigt ihn, wie er sich eine Line Kokain in die Nase zieht. Als Reaktion auf dieses Desaster kaufte Bushs Büro sechzig Internetadressen auf, darunter „Bushsucks.com“, „Bushblows.com“ oder „Bushbites.com“. Unliebsame digitale Doppelgänger lassen sich jedoch nicht immer abschütteln. „HillaryNo.com“ oder „AlBore.com“ gehören noch zu den weniger aufregenden Exemplaren. Unter „whitehouse.com“ sind Pornos abzurufen – aber die Amtszeit dieses Präsidenten geht ja nun zu Ende. Christian Ahlert

Christian_Ahler@harvard.edu