„Im Kern feige“

■  Parabel vs. Authentizität, quälende Langsamkeit als Programm: Didi Danquart über seinen preisgekrönten Film „Viehjud Levi“

Bei der Berlinale gewann Didi Danquart (44) mit seinem Spielfilm „Viehjud Levi“ über die Diskriminierung eines jüdischen Viehhändlers im Schwarzwald der dreißiger Jahre den Caligari-Preis, in Potsdam den Publikumspreis und beim Festival in Jerusalem den Mayor's Prize Jewish Experience. Mit dem Erfolg haben sich Türen geöffnet für den langjährigen Dokumentarfilmer und Mitbegründer der Medienwerkstatt Freiburg. Ihm wurde ein „Tatort“ angeboten, und auch ein neues Kinoprojekt ist bereits geplant: ein Gangsterfilm nach „Angst im Bauch“ von Leo Malet. Das wird dann „richtiges Genrekino“, weiß Danquart, „jetzt gibt es keinen Heimatbonus und keinen Political-Correctness-Bonus mehr, jetzt heißt es: Entweder er kann es oder er kann es nicht.“

taz: Die Caligari-Jury begründete ihre Auszeichnung damit, „Viehjud Levi“ sei „anspruchsvolles Unterhaltungskino“. Klingt das in Ihren Ohren wie Lob oder eher wie ein Vorwurf?

Didi Danquart: So wie „Levi“ gebaut ist, ist es klassisches Erzählkino. Es wird eine Geschichte erzählt, die von A nach B geht. Mit großen Bildern und ein bisschen überhöht. Insofern betrachte ich das sogar als großes Lob, auch wenn mir der Begriff Erzählkino besser gefällt als Unterhaltungskino. Der Film war natürlich von vornherein ein schwieriges Unterfangen. Zuerst der Stoff, Faschismus, 1933, die jüdische Geschichte. Dann das Problem, 60 Jahre später eine Geschichte zu erzählen in einer Zeit, in der die mediale Wirklichkeit mit ganz anderen Geschwindigkeiten, mit ganz anderen Bilderwelten, mit moderneren Figuren operiert.

Es gibt Vorwürfe, der Film sei nicht authentisch.

Zuerst einmal wird eine erdachte Geschichte erzählt. Authentizität herzustellen war mir im Grunde nie wichtig. Der badische Dialekt zum Beispiel ist gebrochen mit Hochdeutsch und Berlinerisch. Das ist Konzept, denn der Film ist eine Parabel. Er erzählt eine Geschichte, in der ein Mikrokosmos von Menschen nicht in der Lage ist, einem anderen zu helfen, weil sie sich in einer neuen, in diesem Fall terroristischen Ordnung neu orientieren müssen. Aber der Kern der Geschichte ist, dass sie zu feige waren. Die historische Zeichnung des jüdischen Viehhändlers ist in diesem Fall untergeordnet. So wie es sich Benigni in „Das Leben ist schön“ erlaubt, dass italienische Juden in Faschistensäle reiten und Bräute entführen. Das ist so überhöht, dass niemand mehr fragt, ob das jetzt noch authentisch ist.

Trotzdem ist die Ausstattung sehr ums Detail bemüht.

Die Maske, die Frisuren sind extrem an der Zeit orientiert. Andererseits sind die Locations sehr reduziert und die Ausstattung sehr zurückgenommen, fast gesäubert als Hintergrund für das Figurenspiel. Unterhaltungskino ist eben auch Figurenkino, in dem das Bild nur den Hintergrund bildet.

Es gab auch einen historisch verbürgten Levi, nach dem Sie Recherchen angestellt haben. Was davon wurde verwendet?

Beim Schreiben des Drehbuches habe ich noch gar nicht so viel über ihn recherchiert. Ich habe nachgeforscht bei den Bauern da oben. Die einen sprechen wohlwollend von ihm, aber es gibt auch 84-jährige Bäuerinnen, die sind immer noch sauer, weil er ihnen damals ein zeugungsunfähiges Kalb verkauft hat. Also Anekdoten und Geschichten, wie wir sie alle kennen, mit antisemitischen Einschlägen, aber auch geprägt von Freundschaft. Mehr wollte ich nicht. Ich habe versucht, eine Figur zu finden, die als jüdische Figur in sich stimmig ist. Und das ist mir auch gelungen, glaube ich, auch wenn die jüdischen Gemeinden sagen: „Warum hast du ihn fremd gezeichnet?“ Da kann ich mich immer nur auf meine künstlerische Freiheit zurückziehen und muss sagen, ich habe hier keinen szenischen Dokumentarfilm gemacht.

Was aber war der Grund, Levi so fremd zu zeichnen?

Das eigentliche Ziel des Film ist das Eigene und das Fremde. Das selbe gilt für Paul, den aus Berlin zugereisten Fabrikarbeiter, der auch keinen Zugang findet. Das ist auch eine, wenn auch andere Art von Fremdheit.

Nach einer der Berlinale-Vorführungen entwickelte sich eine sehr kleinliche Diskussion darüber, ob das eher hoffnungsvolle Ende in Ordnung sei.

Es sind immer wieder dieselben Details, an denen diskutiert wird: Mundart, jüdische Zeichnung und das Ende. Da wird es zum Teil korinthenkackerisch. Jeder weiß, dass Levi letztendlich in Auschwitz gelandet ist. Aber warum soll er nicht die Chance haben, nach Palästina oder New York zu kommen? Dieses poetische Bild, wenn die roten Rücklichter wegfahren und verglühen, lässt einem die Zeit, mit ihm wegzugehen, egal wohin. Vielleicht wäre es diesen Leuten lieber, er wäre tot, dann wäre es einfacher, dann wäre es Geschichte.

Die Bilder sind teilweise berückend schön. Haben Sie sich Gedanken gemacht über mögliche Vorwürfe, ob man eine solche Geschichte so umsetzen kann?

Ich hatte nie Sorge, dass das zu groß wird oder zu hübsch, weil ich wusste, dass die Geschichte stark genug ist. Schon als wir in den 70ern in der Medienwerkstatt mit Video gearbeitet haben, hatten wir den Anspruch, gute Bildmontagen herzustellen und nicht nur Flugblätter, bei denen die Message stimmt.

Woran hätte der Film scheitern können?

Dass er zu sehr ins Regionale abfällt, dass er im Schwarzwald versackt, dass die Leute sagen: Ja, die da unten. Oder dass mir der Bogen über die Geschichte hinaus nicht gelingt, dass das Metaphorische nicht aufgeht. Dann habe ich noch dummerweise während der Endphase des Schnitts in einer Preview „Lola rennt“ gesehen. Ein rasant und genial geschnittener Film, und ich mache quälend lange Einstellungen. Das will doch keine Sau sehen. Mir ging der Arsch auf Grundeis nach zwei Jahren Arbeit. Ich brauchte Tage, um wieder einigermaßen objektiv weiter arbeiten zu können.

Interview: Thomas Winkler
‚/B‘ „Viehjud Levi“. Regie: Didi Danquart. Buch: Danquart & Martina Döcker nach Thomas Strittmatter. Mit Bruno Cathomas, Caroline Ebner, Bernd Michael Lade u. a. BRD/Schweiz/Österreich 1999, 95 Min.