Fit im Kopf für Möbel Horzon

Um die von ihm konzipierte „Wissenschaftsakademie“ zu finanzieren, hat Rafael Horzon einen Möbelladen aufgemacht, der auf Regale spezialisiert ist. Am Mittwoch konnte man dort Ikea-Bretter eintauschen und in einem Happening zersägen lassen  ■   Von Tobias Rapp

Vor der Tür eines Ladens in der Torstraße drängeln sich Mittzwanziger in Turnschuhen und Trainingsjacken, mit DJ-Taschen und Anzügen und trinken Bier. Sie sehen aus, als würden sie später noch ins Maria am Ostbahnhof fahren oder als kämen sie aus der verblichenen galerie berlintokyo. Es könnte eine Vernissage sein. Aber es geht nicht um Kunst, sondern um die Vorstellung eines neuen Regals, und der Laden ist auch keine Galerie, sondern ein Möbelhaus: Möbel Horzon.

Trotzdem passt alles zusammen, denn das Publikum sieht aus, wie die angebotenen Regale heißen: „Interessant“ und „Modern“. „Interessant“ ist gerade erst entwickelt worden und soll heute Abend präsentiert werden. Danach ist „Umtausch + Zersägung = Zufriedenheit“ angekündigt: Jeder, der ein altes, „unmodernes und unschönes“ Regal mitbringt, kann es gegen ein neues umtauschen – solange Vorrat reicht, also vier Regale lang. Anschließend wird das alte Regal zu Feuerholz zersägt.

Rafael Horzon, der Chef des Ladens, läuft herum, begrüßt Gäste, räumt ein paar Bierflaschen weg, gibt Interviews und posiert für Fotos. Vier Exemplare „Modern“ stehen im Laden: eins mit Schallplatten, eins mit Telefonbüchern und eins mit Aktenordnern gefüllt, eins leer. Dazwischen wird das CD-Regal „Interessant“ präsentiert: drei Fächer, Platz für 150 CDs, schlicht, funktional, formschön und aus demselben Material wie das „Modern“ – MDF, Mittel Dichte Faser. Ein Material, das auch Modellbauer benutzen. In einer Ecke des Raums legt DJ Armin von Milch Gabbaplatten und cheesy Siebzigerjahre-Disco auf und von Zeit zu Zeit geht Rafael Horzon zum DJ-Tisch und dreht den Sound leiser. Im Hinterzimmer gibt es Sekt und Bier.

Es könnte eine Vernissage sein, stünde nicht am Anfang und im Zentrum von Horzons Unternehmungen der Gedanke, Kunst sei „unmodern“. Und zwar deshalb, weil alles zur Kunst erklärt werden könne, auch eine Wurstfabrik etwa, und so in diesem Bereich keine Weiterentwicklung mehr möglich sei. Im Unterschied zur Wissenschaft etwa oder auch zum Marketing. Deshalb stieg er auch bei berlintokyo aus, deren Mitbegünder er war. Er empfohl, man möge alle Galerien und Museen der Welt „in die Luft sprengen“, und begründete die Wissenschaftsakademie Berlin, die erste private Hochschule der Stadt.

Möbel Horzon ist nicht einfach nur ein Regalladen, sondern Teil der modocom-Firmengruppe, die gegründet wurde, um den Betrieb der Wissenschaftsakademie zu finanzieren. Die Akademie, deren Räume um die Ecke in der Linienstraße sind, soll „fällige Studienreformen“ in Deutschland vorwegnehmen und den Studenten mit „modernen Lehrmethoden nach US-amerikanischen Vorbild“ wieder Spaß am Lernen vermitteln.

Keine langen Studienzeiten mehr, nach dem erfolgreichen Besuch von vier Veranstaltungen bekommt man seinen Abschluss, schnelle Erfolgserlebnisse sind garantiert: Zum Erlangen eines Scheins reicht es aus, 50 Prozent der Antworten bei einem Multiple-Choice-Test richtig zu haben. Die Veranstaltungen in der Wissenschaftsakademie sind durch radikale Interdisziplinarität bestimmt und reichen von „Rechtsfragen im Internet“ und „Der Schabrackentapir“ bis zu „Sprengen und Sprengverfahren“. Die nächsten Vorlesungen drehen sich um „Hüftgelenkoperationen in Indien“ und „Supermensch versus Genkartoffel: Wo liegen die Grenzen?“ Die staatlichen Hochschulen reagierten mit Verwirrung auf diese Institution, zumal Horzon allen Berliner Universitäten Kooperationen angeboten hat – mit der Perspektive zur späteren Fusion.

Da auf dieses Anliegen nur abschlägige Antworten kamen, begründete Horzon die modocom-Firmengruppe, zu der auch der www-Verlag Berlin gehört: www wie Wissenschaft, Wirtschaft und weiteres, ein Verlag, in dem bisher ein Buch erschienen ist. Es heißt „Modern sein – Fit im Kopf ins 3. Jahrtausend“, der Autor heißt natürlich ebenfalls Rafael Horzon und erläutert darin seine Philosophie zu Wissenschaft und Marketing. Seine eigenen Unternehmungen dienen dabei als beste Beispiele. Zum guten Marketing gehört etwa eine „Konsequente Markenpolitik“, wie bei „Dr. Oetker, Brügge Haferflocken, Möbel Horzon, Knorr“. Lediglich zwei Produkte zu verkaufen, ein Plattenregal und ein CD-Regal, ist dann wohl tatsächlich die Definition von konsequenter Markenpolitik. Und es funktioniert: 80 Regale „Modern“ hat Möbel Horzon schon verkauft, zum Basispreis von 200 Mark, oder für 170 Mark mit dem Rabatt für Sozialhilfe-Empfänger und alle mit einem Brutto-Einkommen unter 3.000 Mark. Oder noch einmal dreißig Mark billiger, wenn man einen weiteren Kunden vermittelt. Das Buch „Modern sein“ gibt es in jedem Fall gratis dazu. Nachdem er die ersten noch in seiner Wohnung selbst zusammengeschraubt hat, lässt Horzon sie nun in Kreuzberg von einer Tischlerei herstellen. Die Wartezeit beträgt eine Woche.

Auch das neue CD-Regal „Interessant“ scheint sich großer Beliebtheit zu erfreuen, am laufenden Meter muss Horzon potenzielle Kunden auf eine Liste an der Wand verweisen, wo man sich eintragen kann, wenn man ein Regal kaufen möchte. Die zum Umtausch abgegebenen Regale stehen inzwischen an der Wand daneben und warten darauf, zersägt zu werden. Ein Billy von Horzons erklärtem Hauptkonkurenten Ikea ist darunter, mit unübersehbaren Kinderzimmer-Aufkleberesten. Nach einem Blick auf die Liste mit den Bestellungen zieht Horzon einen Strich unter der vierten Eintragung. Bis jetzt hat der Vorrat gereicht, jetzt wird nur noch in Zahlung genommen.

Doch das ganz große Massaker an den Produkten der Konkurenz bleibt aus. Zwar steht das Opfer in Form eines schaurig graugrün bemalten Eckregals schon angegesägt vor der Tür, doch dann fängt es an zu nieseln, die Flex ist so laut, dass sie wahrscheinlich in den umliegenden Häusern die Kinder aus dem Bett wirft, und außerdem wird das Möbelstück gebraucht, um die Bierflaschen darauf abzustellen.

Trotzdem Zufriedenheit überall. Wie auf einer Vernissage eben. Nur dass keine noch so medienkritische Galerie eine so perfekte Simulation von sozialer Wirklichkeit ausstellt und die Phantasmagorien der neuen Berliner Mitte verhandelt: zwischen Geschäft und Kunst, Ernst und Spaß sowie Geld und Schulden.

Möbel Horzon, Torstraße 68, Informationen unter www.modocom.de