Gestank im Ohr    ■ Von Wiglaf Droste

Muzak heißt das Zeug, das in Einkaufszonen, schlechten Bars und miesen Restaurants aus Decken und Wänden austritt wie ein akustisches Gas. Meist ist es nicht einmal besonders laut, aber permanent präsent, eine penetrante Endlosschleife, die in den Apparat zwischen den Ohren eingespeist wird. Obwohl es angeblich stimuliert und in Hochstimmung versetzt, fühlt man sich nach einer Viertelstunde im akustischen Rieselfeld vor allem sediert. Der Mulm ändert seinen Aggregatzustand von gasförmig zu flüssig zu halbfest und tropft aus den Lautsprechern, mehlschwitzend-bratensoßig, dick, blubbernd, übersättigend bis zum dringenden Erbrechenswunsch. Muzak kann man riechen. Muzak ist Gestank im Ohr.

Gestank im Ohr: Als ich den Begriff zum ersten Mal von Vincent Klink hörte, leuchtete er mir sofort ein. Das kalifornische Esoterik-Getröte von Kenny G. zum Beispiel verbreitet Lenorgeruch. Das Buttuttuttuttuttuttu, mit dem tiefergelegte Auto-Autisten sich selbst zum Restmüll geben, müfft scharf und streng nach A-Jugend-Umkleidekabine. Das Kleinmädchengehirnwäscheprogramm „I'm a big big girl in a big big world“ riecht, wie einst die Bilder David Hamiltons, nach prämenstruellem Pipi. Heinz-Rudolf Kunzes Lieder verströmen den pansigen Maulgeruch einer deutschen Dogge. In Westernhagens Musik gehen Leichenfett und Zuhälterparfum eine nahezu schlagartig tödliche olfaktorische Verbindung ein. Jedes Live-Album der Toten Hosen riecht nach Füßen und Kantinenfraß, den Puhdys entweicht der herbe Duft von Griletta. Pur versuchen krampfhaft, genauso nach nichts zu riechen wie ihr Publikum, aber bei beiden ist der Angstschweiß stärker, er weht aus jedem Lied, aus jedem Applaus. Elton Johns Ballade „That's why they call it the Blues“ riecht so bluesig wie ein frischgewachstes Mercedes-Cabrio, die Musik von Rosenstolz miefelt, wie man sich einen ungelüfteten Swinger-Club vorstellt, Rammstein ist ein nasaler Vorschlaghammer: jedes Lied eine Zelle im Knast. Ganz anders Tina Turner: Nie zuvor oder danach hat Musik so eindeutig und gültig die Sehnsüchte und Frustrationen von Millionen Hausfrauen verströmt wie Tina Turners Durchhaltelieder aus den 80er-Jahren. In jedem verzweifelten Schrei ist der fahle Geruch, den Alter und Enttäuschung mit sich bringen. BAP riechen nach Oblaten und Messdienergewand, die Scorpions miefen bratzig bremsgestreift. Wenn es aber aus dem Radio so eindeutig identifizierbar stinkt, wie nur eines identifizierbar ist, dann ist es Phil Collins. Phil Collins ist McDonald's für die Ohren.

Das Widerliche an McDonald's ist nicht unbedingt der Geschmack; manchmal möchte man eben etwas essen, das wie verschmorte Nasenhaare schmeckt. Das Widerwärtige an McDonald's ist der Geruch: eine chemische Keule, die alles andere erschlägt. Wäre Katerpisse aus Frittenfett, sie stönke wie eine McDonald's-Filiale und wie die Musik von Phil Collins: von jeder zweiten Ecke weit in die Welt hinaus. Auch im Kino, im Trailer von Walt Disney's „Tarzan“. Es gab so viele großartige Disney-Filme: „Dschungelbuch“, „Aristocats“, „Robin Hood“. Jetzt gibt es das blaue sensorische Wunder: Phil Collins singt, und es stinkt.