Rasende Renate will Diepgen abhängen

Die Berliner Grünen machen erstmals einen auf ihre Spitzenkandidatin Renate Künast zugeschnittenen Wahlkampf    ■ Von Dorothee Winden

Diepgen rennt. Renate ist schneller.“ Renate Künast, die Spitzenkandidatin der Berliner Grünen, grinst verschmitzt. Wieder einmal hat sie dem Regierenden Bürgermeister ein Schnippchen geschlagen. Den joggenden Eberhard Diepgen würde sie auf ihren Inline-Skates locker überholen. Auf ein Wettrennen hat sich Diepgen aber nicht eingelassen, Künasts E-Mail an die Senatskanzlei blieb unbeantwortet. Der CDU-Politiker, der die angriffslustige und redegewandte Grüne im Parlament kürzlich als „Giftmischerin“ beschimpfte, scheut den zugegebenermaßen ungleichen Wettlauf.

Macht nichts. Medienwirksam sind die Auftritte der skatenden Spitzenkandidatin auch so: Mit Knieschützern und wehendem Jackett warb sie gestern dafür, eine Brücke in der Innenstadt für den Autoverkehr zu sperren und nur für Fußgänger, Radfahrer und Inline-Skater zu öffnen.

Erstmals führen die Grünen einen Wahlkampf, in dem ihre Spitzenkandidatin eine zentrale Rolle spielt. Denn die 43-jährige Rechtsanwältin und Fraktionschefin verkörpert die grüne Identität: Sie hat sich in der Anti-AKW-Bewegung engagiert, sie steht für demokratische Rechte, für Liberalität in der inneren Sicherheit und setzt sich für Minderheiten ein.

Mit einer überwältigenden Mehrheit wurde die gemäßigte Linke im Mai zur Spitzenkandidatin gewählt. Künast ist populär und genießt breiten Rückhalt. Doch der auf die Spitzenkandidatin zugeschnittene Wahlkampf ist ein Novum. Da blieben diffuse Vorbehalte nicht aus. So mancher befürchtete einen Joschka-Fischer-Effekt und argwöhnte, Künast könnte nach der Wahl eine noch stärkere Fraktionschefin werden.

Künast versucht solche Ängste zu zerstreuen. Bei grünen Versammlungen beginnt sie ihre Reden meist mit „liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter“, bindet zum Schluss nochmal alle ein in ihren Appell, „gemeinsam für ein gutes Ergebnis zu kämpfen“.

Um das vierköpfige Beraterteam von Renate Künast wurde Geheimniskrämerei betrieben, um auf Empfindlichkeiten der grünen Basis Rücksicht zu nehmen. Nur auf hartnäckiges Nachfragen war zu erfahren, wer dem Gremium angehört. Dass neben der von der Basis gewählten Wahlkampfkommission noch eine Runde aus Künast-Vertrauten Ideen entwickelt, wie die Kandidatin in den Medien gut rüberkommt, wurde anfangs als Konkurrenz missverstanden. Und wenn ein Mitglied der Wahlkampfkommission betont, dass das „Renate-Plakat“ schließlich eine Idee der Kommission war, klingt ein wenig verletzte Eitelkeit durch.

Egal. Das Plakat mit Künasts Konterfei hängt in der ganzen Stadt, versehen nur mit dem minimalistischen Slogan: „Wen sonst“. Ihr Name steht ganz bewusst nicht auf dem Plakat. Selbstbewusst verweisen Grüne auf den hohen Bekanntheitsgrad von Künast: 60 Prozent – ein ungewöhnlich hoher Wert für eine Oppositionspolitikerin.

Joschka Fischers Vorstoß, der sich die Berliner Spitzenpolitikerin als Parteisprecherin wünscht, schlug hier ein wie eine Bombe. „Es war auf keinen Fall hilfreich“, sagt Künast-Berater Albert Eckert. Drei Wochen vor dem Wahltermin am 10. Oktober entstand der Eindruck, die grüne Spitzenkandidatin sei auf dem Sprung – fatal. „Im ersten Moment waren wir fassungslos“, sagt Eckert. Künast dementierte, dasWahlkampfkonzept wurde um kein Jota geändert.

Längst ist bei den Grünen die anfängliche Skepsis gegen einen Spitzenkandidatinnen-Wahlkampf in eine hohe Erwartungshaltung umgeschlagen. Einige meckern, von dem Kreativ-Team um Künast habe man sich mehr erhofft: noch mehr spektakuläre Auftritte der Kandidatin, noch mehr originelle Einfälle. Künast-Berater Eckert wertet das recht gelassen als Zeichen dafür, dass sich die anfänglichen Widerstände in Luft aufgelöst haben. „Wir haben jetzt den Effekt, dass Renate aus der Partei für alles und jedes angefragt wird.“

Einige Highlights kommen noch: In dieser Woche läuft eine Anzeigenkampagne in Berliner Zeitungen an, in der 30 Männer und Frauen ganz persönlich für Künast und die Grünen werben. „Ich wähle Künast, weil ich als ihr Friseur am liebsten kluge Köpfe verschönere“, sagt etwa ihr Coiffeur Zaffer Demir. Selbst drei frustierte SPD-Mitglieder sind dabei. „Ich wähle diesmal die Grünen, weil die SPD sonst in der Großen Koalition alle Grundsätze vergisst,“ erklärt Gabriele Stanek-Schlicht, die seit 25 Jahren SPD-Mitglied ist.

Doch ganz reibungslos funktionierte das Zusammenwirken zwischen Wahlkampfkommission und Künast-BeraterInnen nicht. Norbert Schellberg, Mitglied der Wahlkampfkommission, stellt fest: „Doppelstrukturen sind immer schwierig.“ Politische Differenzen habe es keine gegeben, geknirscht habe es nur bei einigen Detailfragen. Umstritten war etwa eine Solarauto-Aktion, die sich das Künast-Team ausgedacht hatte. In der Wahlkampfkommission kritisierten einige Puristen, dass das Solarmobil auch mit Strom aus der Dose betrieben werden könne. Geld wollten die Wahlkämpfer dafür jedenfalls nicht lockermachen. Die Wahlkampfkommission hatte noch ein weiteres, gewichtiges Gegenargument: Die Car-Sharing-Firma Stattauto hat Künast schon vor einigen Wochen ein Auto zur Verfügung gestellt, damit sie ihren engen Terminplan einhalten kann. Das Solarauto kommt nun, sozusagen als Zweitwagen, hinzu – ein Widerspruch zum grünen Programm?

Künast-Berater Albert Eckert hält dem entgegen: „Das Solarmobil ist ein Zweisitzer. Darin kann man keine größeren Mengen Wahlkampfmaterial transportieren.“ Zudem verbrauche das Solarmobil, das dem grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell gehört, sensationell wenig Energie: auf hundert Kilometer umgerechnet nur 0,5 Liter Benzin.