Daum will nun mehr als kratzen, beißen, spucken

■ Nach dem 1:1 gegen Kiew beginnt Leverkusen, die Genügsamkeit zu den Akten zu legen

Leverkusen (taz) – Möglicherweise ist Fußball ein einfaches Spiel. Elf Spieler hier, elf gegenüber kämpfen neunzig Minuten darum, einen Ball hüben oder drüben ins Tor zu schießen. Am Ende stehen Sieg, Unentschieden oder Niederlage.

Das sieht auf den ersten Blick recht übersichtlich aus. Aber es ist alles andere als das, wenn man es in diesen Tagen aus der Perspektive von Christoph Daum betrachtet. Der Trainer von Bayer Leverkusen erlebt gerade, wie sich die Angelegenheit verkompliziert, je höher das Niveau ist, auf dem gespielt wird. Leverkusen tritt zum zweiten Mal nach der Saison 1997/98 als Vizemeister in der Champions League an. Die Mannschaft spielt in einer Gruppe gegen Dynamo Kiew, das manchem Beobachter in der letzten Saison als bestes Team des Wettbewerbs galt, und gegen Lazio Rom, das zu den personell am klangvollsten ausgestatteten Vereinen der laufenden Liga gehört. Leverkusen hat zunächst Rom und vorgestern Kiew empfangen und hat beide Spiele nicht verloren, sondern Remis gespielt. Eigentlich könnte das ein Grund zur Freude sein. Denn als die Leverkusener vor zwei Jahren in der Champions League debütierten, erinnert sich Daum, „mussten wir kratzen, beißen, spucken, um mitzuhalten“. Inzwischen hat Bayer immer bessere Spieler verpflichtet und ausgebildet und statt des „Hurra-Stils“ (Manager Calmund) wird nun durchdachter Systemfußball geboten. Parallel ist im nationalen Wettbewerb die genügsame Haltung, irgendwie mitmischen zu wollen, dem erklärten Anspruch auf den Titel gewichen. Mit dem Erfolg, dass Bayer Tabellenführer ist.

International aber ist das hohe Tempo der Entwicklung womöglich die Crux: Bayer ist nun potenziell so gut, dass es selbst gegen klangvolle Champions-League-Konkurrenz nicht mehr reicht, zu Hause ordentliche Spiele zu liefern, wenn am Ende keine Siege herausspringen. Das enttäuscht das Publikum, ärgert die Mannschaft und den Trainer sowieso. „Vor zwei Jahren mussten wir immer über die Leistungsgrenze hinausgehen“, sinniert Daum weiter. Und jetzt? „Jetzt spielen wir mit.“ Das heißt, wenn er es sich richtig überlegt, ist es sogar so: „Jetzt bestimmen wir das Spiel.“ Es hat also sozusagen die Wirklichkeit den Anspruch schon überholt. „Manche wissen doch gar nicht, auf welchem Level wir hier überhaupt spielen“, merkte Calmund an und drückte so gleichermaßen Begeisterung über dieses Level und Kritik an zu gewinnsüchtigem Publikum aus, das die Mannschaft mit Pfiffen verabschiedet hatte.

Tatsächlich war Bayer gegen den Abonnements-Meister der Ukraine wie schon gegen Lazio offensiv ausgerichtet und optisch überlegen. Nach geduldiger, kombinationsfreudiger, zunächst allerdings auch etwas zielloser Spielerei ging Leverkusen auch wieder in Führung – und brachte sich doch auch wieder selbst um den Sieg. Mangels „Kaltschnäuzigkeit“ (Calmund) ließen diverse Spieler eine Vielzahl von Torchancen ungenutzt. Die beste vergab direkt nach dem Tor von Kirsten (52.) Beinlich, als er am Ende eines Angriffszuges „die falsche Option“ (Beinlich) wählte. Auch Daum war hinterher schlauer: „Kommt da das 2:0, ist das Ding gegessen.“

Stattdessen kam es zu einer Verkettung von Pannen in der Abwehr, auf Grund derer Kiew einen durch Husin erfolgreich abgeschlossenen Angriff inszenieren konnte (73.), während die Bayer-Spieler in einer ausgedehnten „Schrecksekunde“ (Daum) verharrten. Jens Nowotny war sauer über diese „unkonzentrierte und undisziplinierte Abwehrleistung“. Daum rechnete nach: „Mittlerweile fehlen uns vier Punkte.“ Das ist wahr und könnte, so Kiew das Rückspiel gewinnt, das Erreichen der nächsten Runde gefährden. Andererseits: In der großen Fußballwelt ist Bayer ein Lehrling, und ein paar Ziele kann sich der kleine Verein vom Rhein auch noch für die Zukunft aufheben.