Das Portrait
: Der kleine Capitalist

■ Johannes Gross

Immer wieder war in den Nachruf-Spots der Fernsehsender diese Szene im Schlosspark zu sehen: Drei Gestalten in sichtlich aufgeräumter Stimmung liefen über eine festlich geschmückte Terrasse. Eine der Gestalten war Helmut Kohl, einen Meter tiefer lief ein kleines Männchen. Plötzlich deutete Kohl auf das Männchen und spaßte: „Johannes Gross ist der Größte!“

Ganz kurz war dann die dritte Gestalt im Schlosspark zu sehen, eine Dame, die neben den Herren einherschritt. Gut möglich, dass der Altkanzler später noch über sie flachste: „Alice Schwarzer ist die Schönste!“, aber das war nicht mehr zu sehen.

Auf jeden Fall passte es sehr gut, dass man den berühmten Publizisten Johannes Gross am Tag seines Ablebens im Alter von 67 Jahren noch einmal in Gesellschaft von Kohl und Schwarzer zu Gesicht bekam. Mit dem Oggersheimer verband ihn ähnliche Weltsicht und bereits jugendliches Engagement für CDU-nahe Organisationen – Gross begann seine journalistische Karriere bei einer konservativen Studentenzeitschrift.

Außerdem war der Kanzler aller Deutschen etwa genauso wichtig wie Gross – glaubte Gross. Wenn Kohl der große alte Mann der Politik war, war er zumindest der große alte Mann der Publizistik. Schließlich war er fast genauso oft im Fernsehen, kannte Gott und die Welt, hatte es bis in den Vorstand von Gruner + Jahr geschafft und saß somit direkt an den Schalthebeln der Macht.

In Wirklichkeit hatte er viel mehr Ähnlichkeit mit Alice Schwarzer als mit Helmut Kohl. Genauso wie Schwarzer wurde er von sämtlichen Talkshows gerne eingeladen, egal zu welchem Thema. Genauso wie Schwarzer wurde er vor Urzeiten bekannt als Herausgeber einer leicht obskuren, leicht extremen Zeitschrift (Gross: Capital, Schwarzer: Emma) und genauso wie Schwarzer fürderhin auf diese Rolle reduziert.

Er war der Wirtschaftsjournalist, sie ist die Frauenrechtlerin. Dass es in den Talkshows meist um ganz was Anderes ging, war egal, denn genauso wie Schwarzer beherrschte er souverän die Fähigkeit, eloquent viel Blech zu jedem Thema zu reden und nebenbei ein paar Seitenhiebe auszuteilen, die niemand mehr weh taten.

Dass er der Nachwelt deshalb weniger als Experte, sondern als lustiger Giftzwerg in Erinnerung bleiben wird, war ihm wohl selbst klar. In seiner letzten Kolumne in der Abschiedsausgabe des FAZ-Magazins schrieb er vielsagend: „Niemand ist vor seinem Tode glücklich zu preisen. Nach dem Tode auch nicht.“ Lukas Wallraff