■ China feiert heute den 50. Geburtstag der Volksrepublik – mit Massenaufmarsch und Militärparade. Damit die Düsenjäger am Himmel über der sonst völlig versmogten Hauptstadt Peking überhaupt zu sehen sind, wurden Kraftwerke und Fabriken geschlossen. Zu den Festtagsvorbereitungen gehörten außerdem hunderte von Hinrichtungen  Aus Peking Georg Blume
: Die frische Luft ist eine Revolution

Glaube keinem Fernsehbild aus Peking am 50. Jahrestag der Volksrepublikgründung! Wenn heute eine halbe Million Chinesen im Parademarsch vor dem großen Mao-Porträt am Tor des Himmlischen Friedens vorbeiziehen, werden die TV-Bilder die Erinnerung an die kommunistischen Massenkampagnen der Mao-Zeit wiederbeleben. Und wenn die Kamera auf die neuen Hochhausfassaden der Pekinger Innenstadt abschwenkt, wird der Eindruck entstehen, China werde nun aus einem zweitem Hongkong regiert.

Nichts davon spiegelt die Wirklichkeit. Peking ist immer noch eine Stadt mit einem Durchschnittseinkommen unter 2.000 Mark im Jahr. Und die Kommunistische Partei Chinas kann das Volk längst nicht mehr begeistern.

Das war zu Maos Zeiten anders: „Als ich Student war, veranstaltete man die Paraden zweimal im Jahr, am 1. Mai und 1. Oktober, und die Teilnehmerzahl war viel größer“, sagt der KP-Professor Shang Dewen, 66 (siehe Interview). „Heute wirken die Feiern sparsam und karg.“ Mehr technokratisch als volksnah, mehr auf Sicherheit als aufs Feiern bedacht, inszeniert die Partei ihren großen Tag.

Das für die Hauptstädter schönste Jubiläumsgeschenk ist eine Woche frische Luft. Kraftwerke und Fabriken sind geschlossen, damit dieses Mal am Festtag die Düsenjäger am Himmel über Peking gesehen werden können. In der laut UN-Statistik drittverschmutztesten Stadt der Welt hätte sonst Smog die Fensehübertragungen getrübt. Außerdem gibt es zum 1. Oktober drei statt wie bisher zwei Tage frei für die arbeitende Bevölkerung. Und die Regierung hat in den letzten Wochen die Sozialbezüge für 84 Millionen Arbeitslose und andere Bedürftige um 30 Prozent erhöht. Damit ist aber auch schon Schluss mit lustig. Als müsste der Festtagsputz im Volk beginnen, hat die Partei vor dem Jubiläum eine Hinrichtungskampagne angeordnet, im Laufe derer allein in der Südprovinz Guangdong 238 Todesurteile hastig vollstreckt werden.

Unsanft gehen die Behörden derzeit auch mit Arbeitsmigranten um. Hunderttausende hat man aus der Hauptstadt verwiesen. Berühmtestes Opfer der Festvorbereitungen ist der ehemalige KP-Generalsekretär Zhao Ziyang, der vor seiner Entmachtung im Mai 1989 mit den demonstrierenden Studenten auf dem Tiananmenplatz sympathisiert hatte. Der unter Hausarrest stehende Zhao wurde für die Feiertage in einen Vorort Pekings verbannt.

Nicht dass die drakonischen Sicherheitsmaßnahmen auf eine Stimmung deuteten, die sich kurzfristig gegen die Kommunisten wenden könnte. Obwohl die Regierung in den vergangenen sechs Monaten sieben Millionen Arbeiter aus alten Staatsbetrieben entließ, gibt es keine ernsthaften sozialen Proteste. Die Leute wissen offenbar zu schätzen, dass die Kommunisten immerhin für ihre Grundsicherung sorgen. Gleichwohl scheint niemand gewillt, mit der Partei Feste zu feiern. „Sie sollen uns mit ihren Kampagnen in Ruhe lassen“, sagt Li Shiqui, eine 40-jährige Universitätslehrerin. „Als ich bei der letzten großen Tiananmen-Parade vor 15 Jahren mitmarschieren musste, ließ man uns Studenten sechs Monate Stechschritt trainieren. Erst am Tag des Aufmarsches wurde uns gesagt, ganz normal über die Straße zu laufen. Niemand lässt sich heute noch so missbrauchen.“

Ohnehin ist mit den 13 Millionen Pekingern nur ein Hundertstel der Bevölkerung durch Verkehrschaos, Polizeiabsperrungen und Baustellenlärm von den Festvorbereitungen betroffen gewesen. In der Provinz herrscht Ruhe. Bauern und Arbeiter sind aufgefordert, sich vor den Fernseher zu setzen.

Für sie soll der militärische Teil den Höhepunkt der Show bieten: Mit Panzern, Langstreckenraketen und Flugzeugstaffeln will die KPCh ihr Volk von der neuen Stärke des Landes überzeugen. Tatsächlich sind alle modernen Waffen der Volksarmee aus Russland importiert. „China stellt militärisch eine große Bedrohung für Länder wie die Philippinen dar. Doch man muss den Philippinen nur ein paar Cruise Missiles verkaufen, und die Bedrohung verschwindet“, amüsiert sich das US-Magazin Foreign Affairs.

In Wirklichkeit prägt eben nicht das Gigantomanische die 50-Jahr-Feiern. Jede Veranstaltung auf dem riesigen Platz des Himmlischen Friedens wirkt zwangsläufig überdimensioniert. Neu sind vielmehr die postkommunistische Fassadenkultur und die vollkommene Reduzierung auf ein Fernsehereignis.

So verfügt Peking jetzt über zwei parallele Hauptverkehrsadern: Auf der Straße des Ewigen Friedens glänzt sie silbern wie eine Börsenstadt, auf der Straße des Friedens ziert sie das Rotgrau kaiserlichen Mauerwerks. Doch auf beiden Straßen braucht der Fußgänger nur einen Blick hinter die Häuserfront zu werfen.