Gelbe Karte fürs Kleben

■ 300 Mark Strafe auf „Bewährung“ wegen Protest gegen Jugoslawien-Krieg

Weil sie Wahlplakate mit dem Spruch „Keine Stimme den Kriegsparteien“ überklebt haben, sind gestern zwei Mitglieder der Friedensinitiative Ottensen mit Geldstrafen zu je 300 Mark belegt worden. Das Amtsgericht Altona anerkannte allerdings die Motivation der beiden Frauen und sprach statt einer Verurteilung lediglich eine Verwarnung aus. Damit wird die Geldstrafe erst fällig, wenn die Kriegsgegnerinnen erneut bei einem ähnlichen „Delikt“ erwischt werden.

Marlit K. und Jutta B. hatten am 11. Juni diesen Jahres gegen Mitternacht Wahlplakate von SPD und CDU zur Europawahl auf der Max-Brauer-Allee überklebt, als sie von einer Polizeistreife gestoppt wurden. Der CDU-Kreisverband Altona erstattete daraufhin Anzeige wegen versuchter Sachbeschädigung: Die Spruchbänder hatten noch entfernt werden können, da der Kleister noch nicht getrocknet war. Die SPD verzichtete dagegen auf eine Anzeige.

„Was ist ein beklebtes Plakat gegen die Toten, die die Kriegsparteien zu verantworten haben?“ fragte Marlit K. gestern vor Gericht. Die beschädigte Wahlwerbung sei insofern auch als „Kollateralschaden“ zu werten. Und solange jene, die mit dem Krieg gegen Jugoslawien Grundgesetz und Völkerrecht gebrochen haben, nicht vor Gericht stehen, so die 52jährige, könne sie auch keine Verurteilung akzeptieren. Darauf Richter Niels Jöhnk: „Aber wenn die Mehrheit des Bundestages zugestimmt hat?“ Außerdem sei mit dem Überkleben der Plakate ja auch kein Toter verhindert worden.

„Aber es kann nicht angehen, dass man zu diesem Krieg schweigt“, argumentierte Jutta B. in ihrer Verteidigung. Eben jenes Schweigen, betonte die 42jährige, habe sie der Generation ihrer Eltern immer vorgeworfen. Marlit K. ergänzte: „Wenn ich nichts getan hätte, hätte ich mich als Mittäterin empfunden.“

Nach der Verhandlung gabs für die beiden Kriegsgegnerinnen von den zahlreich gekommenen UnterstützerInnen Glückwünsche und Sonnenblumen. Die beiden Frauen hatten sich zwar einen Freispruch gewünscht, zeigten sich aber zufrieden. „In einem gebe ich dem Richter sogar Recht“, sagte Marlit K., „das Mittel reichte nicht, um den Krieg zu stoppen.“

Heike Dierbach