Dr. Himpelchen und der Wunsch

■ Der berühmte amerikanische Wortkünstler Lawrence Weiner schmückte vor neun Jahren die Weserburg außen und macht sich nun mit seinen wertvollen Sätzen auch innen breit

Den Wert eines Apfels kennen wir. Ist circa 'ne Mark. Bei Bananen wird es schwieriger. Sie verschuldeten die Wiedervereinigung, kosteten also eine Billion davon. Noch komplizierter wird es bei Sätzen. Die Unkosten eines „Sie Arschloch, Sie“ hängt ab von der Güte des Rechtsanwalts. Die reichlich abstruse Bemerkung, dass „am Anfang das Wort“ sei, stammt aus einem allgemein bekannnten Märchenbuch. Aufgrund von dessen hoher Auflage dürfte der Wert der reichlich abstrusen Bemerkung exorbitant sein. Vielleicht aber auch nicht, denn Gott verlangt unseres Wissens nach kein Autorenhonorar.

Das unterscheidet Gott von Burkhard Straßmann. Wir müssen zugeben, das folgender Satz von ihm kürzlich in der taz veröffentlicht wurde: „Unser erster Bürgermeister, Herr Dr. Himpelchen, lebt ja schon länger gänzlich ungeniert.“ Aufgrund eines Zeilenhonars von 60 Pfennigen beträgt sein Wert exakt 1 Mark 80. Sein Autor schlüpft demnächst bei der „Zeit“ unter, was den Preis von Sätzen obiger Machart schlagartig auf das Zehnfache anhebt.

Schlußfolgerung: Der materielle Wert von Wörtern bestimmt sich nach deren Platzierung. Der Amerikaner Lawrence Weiner hat einen außerordentlich lukrativen Ort für seine Sprachkunstwerke gefunden: Große Museen und Sammlungen. Selbst ZEIT-Autoren erblassen da vor Neid; Gott wohl auch.

Der Sammler Reinhard Onnasch hat zum Beispiel folgende Sätze käuflich erworben: „Covered from the rear.“ Oder: „An area cleared of all that causes shadows.“ Oder: „Shattered into shards and put on the shelf.“ Sie sind immateriell. Weiner hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, sie in Goldbrokat zu sticken. Dafür darf sie nun Onnasch in sein Tagebuch schreiben oder auf seine Wohnzimmerwand, allerdings ausschließlich in der Schrifttype „Franklin Gothic Extra Condensed“. Peter Friese vom Museum Weserburg taxiert den Wert jedes dieser Aphorismen auf etwa 10.000 Mark. An diese Lohnstückosten kommt nicht mal ein Günter Grass inklusive Nobelpreis ran, geschweige denn ein Peter Handke.

Wer einen Menschen tötet, zersägt, dessen Einzelteile in einem Regal ablegt und dann erschöpft ruft: „Shattered into shards and put on the shelf“, macht sich eines Verbrechens schuldig, nämlich dem des Diebstahls an Sammler Onnasch. Schwierig wird der Fall, wenn Weiner einzelne Worte als „Skulptur“ deklariert und verkauft. Etwa das Wort „reduced“. Die Weserburgler sind keine Diebe. Sie liehen sich schon vor neun Jahren rechtmäßig den Satz „Auf Sand gebaut tatsächlich (aus) auf anderem Grund.“

Auch er ist geistiges Eigentum von Sammler Onnasch. Eigentlich sollte an der Uferseite des Museums schlicht „Museum Weserburg“ stehen. Der Begriff „Museum Weserburg“ ist niemandens Eigentum. Doch er ist Reklame. Und Reklame ist an Bundeswasserstraßen ebenso wie an Autobahnen striktest verboten. Also warb man mit Kunst. Das ist erlaubt. Das ist Deutschland. Wieviel wäre der Satz „Das ist Deutschland“ eigentlich an einer Museumswand wert? 5.000 Mark?

Schon Lyriker wie Rolf-Dieter Brinkmann bemühten sich darum, einen Satz aufzuladen durch ungewöhnliche, grafische Platzierung auf der Buchseite. Weiner reißt die Sprache gleich ganz aus dem Kontext der gewöhnlichen Lektüre mit ihrer weltabgeschotteten Ohrensessel-Gemütlichkeit. Seine Sätze kommunizieren nicht inzestuös mit anderen Sätzen, sondern mit den flüchtigen inneren Monologen im Passanten, in Schaufenstern, auf Plätzen. In der Weserburg findet man Sätze über das architektonische Prinzip des Stüzens und Gestüzt-werdens gleich neben einer gewagten Balkonkonstruktion. Und plötzlich wird die ganze Welt zum Buch, das entziffert werden will, wie es die Barockdichter schon wussten.

Damit seine Sätze in den unterschiedlichsten Innen- und Außenwelten fruchtbar werden können, versieht sie Weiner mit einer gewissen Offenheit. Im Unterschied zu den geschwätzig-anekdotischen Kunstwerken drumrum (Richard Princes Textbild über eine Geschlechtsumwandlung, Duane Hansons lockengewickelte Hausfrau oder William Copleys Bild über einen Giftmord) erzählen Weiners Sätze niemals von handfesten Geschichten, sondern von Dingen, allerdings mit einem schwer psychelnden metaphorischen Überschwang: „Taken from the water, carried to the stars“ – das kann der kleine Regentropfen sein, oder unser größter, geheimster Wunsch. Auch der Wert von Wünschen ist übrigens schwer zu beziffern. bk

Fünf Lawrence-Weiner-Sätze sind bis zum 16. Januar 2000 in der Weserburg zu sehen. Morgen (Sonntag) findet ebendort ab 11.30 Uhr ein Künstlergespräch mit Weiner statt