Skins holen Knüppel aus dem Sack

■ Sie greifen Punks an und schlagen in Lesben-Discos zu: In Oldenburg nehmen brutale Übergriffe aus der rechten Szene zu

So richtig wohl ist Todde nicht, wenn er den Stacheldraht vom Eingang entfernt. Auch hinter der Abzäunung bleibt der 36-jährige Punk auf dem schmalen Weg zum Containerplatz – dem Treffpunkt der Oldenburger Punk-Szene – auffällig vorsichtig: Nur keinen Mucks machen. Wer weiss, was weiter hinten auf einen wartet.

Nach den Ereignissen der letzten Wochen trauen sich die Punks nicht mehr auf das Gelände, auf dem sie bislang stressfrei abhängen konnten. Der Grund dafür ist ein alter Bekannter: Angst vor Übergriffen aus der rechten Szene oder auch kurz „Fascho-Paranoia“ genannt.

Im August nämlich hat „Zecke“ in der Wallstraße ein Messer in den Rücken gekriegt. Zuvor hatte ein Skinhead ihm vor seiner Wohnung aufgelauert und bei einer Kabbelei seine Hand mit einer abgebrochenen Flasche zerschnitten, erklärt Todde. Die Rechtsradikalen kennen einen großen Teil der Punker-Telefonnummern und nutzen das ausgiebig zu Drohanrufen. „Wir bekommen momentan tagtäglich Anrufe, in denen die Skins drohen, uns das Genick zu brechen“, erläutert Heini das Prinzip. Nach dem Motto: Heute abend kommen wir vorbei und mischen euch auf. Dann kommt aber niemand. Und am nächsten Abend das gleiche Spiel von vorn und alle denken: Lass die mal reden. Aber dann steht die ganze Meute plötzlich doch vor der Tür.

Auch beim bislang schwersten Vorfall vor zwei Wochen hatten sich 25 Rechtsradikale auf diese Weise bei einer Punker-WG in der Alexanderstraße angekündigt. „Das Ganze begann um zwei Uhr morgens und dauerte nur vier bis fünf Minuten. Mit Steinen und Stahlkugeln haben die unser Haus bombardiert. Dann kamen zwei Streifenwagen und die Skins sind sternförmig auseinander gestoben“, schildert Pille, einer aus der WG, den Vorfall.

Für viele aus der linken Szene begann die Eskalation der Vorfälle mit dem 13. Februar 1999. An diesem Tag fuhren Autos mit Rechtsradikalen vor der Frauen/Lesben- Disco des Aktions- und Kommunikationszentrum Alhambra vor und nahmen zwei Frauen in die Zange, die gerade aus dem Gebäude kamen. Seitdem schraubt sich die Gewaltspirale langsam, aber spürbar hoch.

Haupttreffpunkt der Rechten ist die als Kneipenattraktion bekannte Wallstraße. „Bis vor einem Jahr gab es keine größeren Gruppen Nazis in der Stadt. Jetzt hängen an fast jedem Wochenende 20 Skins in der Fußgängerzone rum und sind auf Prügeleien aus“, meint Pit von der „Antifaschistischen Aktion Oldenburg“. Obwohl viele der Vorfälle erst gar nicht zur Anzeige kommen, bestätigt auch die Oldenburger Polizei eine Zunahme der Gewalttaten, vermutet aber keine politische Motivation hinter den Ausschreitungen. „Es ist so ein gegenseitiges Behaken“, meint Pressesprecher Rudolf Riesmeier. „So wie wir das hier einschätzen, sind das junge Leute, die politisch nicht organisiert sind. Die geraten einfach aneinander.“

Anders sieht das der Leiter der Jugendfreizeitstätte der Arbeiterwohlfahrt, Walter Dinninghoff. In der Südstadt Oldenburgs befindet sich die Hochburg der rechten Szene. „Hier gibt es vermehrt rechtsradikale Jugendliche, die auch einen gewissen Grad der politischen Organisierung besitzen“, erläutert Dinninghoff. „Es bestehen Kontakte in andere Städte, die eine Anschubkraft bei den Aktionen besitzen. Die ganze inhaltliche Ausrichtung der Szene ist durch Rechtsradikale aus Delmenhorst stark geprägt.“

Eine solche Organisierung könnte auch hinter den Aktionen der letzten Wochen stecken. Auf dem Containerplatz, der seit dem Frühjahr neuer Treffpunkt der Punks ist nach dem Abriss des baufälligen VfB-Stadions und diversen Streitereien mit der Stadt um ein neues Domizil, fühlt sich keiner mehr richtig sicher. Die Punks vom Containerplatz sind nämlich davon überzeugt, dass die Skins nach und nach austesten, was unter den Augen der Öffentlichkeit möglich ist. Todde dazu nachdenklich: „Wir sind 30 Leute und die mindestens 60. Die Chancen sind aussichtslos, weil die Skins viel brutaler vorgehen. Ich kann nur hoffen, dass einem von uns in den nächsten Wochen nichts Schlimmeres zustößt.“

Jens Fliege