Kindergesundheit in Gefahr

■  Weddinger Kinderärzte und der öffentliche Gesundheitsdienst warnen vor weiterem sozialen Abstieg des Bezirks: „Die Anzahl sozial bedingter Erkrankungen steigt extrem“

KinderärztInnen im Wedding schlagen Alarm. „Mit Besorgnis sehen wir den zunehmenden sozialen Niedergang des Bezirks, der besonders die Kinder als schwächstes und empfindlichstes Glied der Gesellschaft trifft“, heißt es in dem „Appell Weddinger Kinderärzte“, mit dem die MedizinerInnen jetzt an die Öffentlichkeit getreten sind.

Rolf Kühnelt, niedergelassener Kinderarzt aus der Badstraße, ist einer der Initiatoren des Appells. „Die Anzahl sozial bedingter psychosomatischer Erkrankungen steigt extrem“, sagt Kühnelt. Verhaltensauffälligkeiten wie Aggressivität, Konzentrationsunfähigkeit und Lustlosigkeit nähmen bei den Kindern zu. Auch Schwierigkeiten bei der Sprachentwicklung, Essstörungen und chronischer Kopfschmerz seien zunehmend Gründe, den Kinderarzt aufzusuchen. „Schlimm ist auch, dass die Kinder keine soziale Kompetenz mehr erlernen.“

Die Ursache sehen die MedizinerInnen in zunehmender Armut und schlechten Wohnbedingungen, aber auch in psychosozialen Belastungen wie Trennungen der Eltern und Gewalt in der Familie. Die Kinder würden zudem durch gesundheitliche Probleme in der Familie wie Alkoholerkrankungen, Drogenkonsum und starkes Rauchen belastet. Nach Angaben der Gesundheitsverwaltung sterben im Wedding überdurchschnittlich viele Männer an Lungenkrebs, überdurchschnittlich viele Frauen an Leberzirrhose.

„40 Prozent der Weddinger Kinder unter sieben Jahren leben von der Sozialhilfe, fast ein Drittel wächst bei alleinerziehenden Eltern auf“, klagt Thomas Abel, Kinderarzt beim bezirklichen Gesundheitsdienst und ein weiterer Initiator des Appells. Die Eltern seien häufig einfach nicht in der Lage, ihre Kinder aufzuziehen. „Sie sind überfordert von der eigenen Lebensbewältigung“, so Abel. „Und das geben sie weiter von Generation zu Generation.“ Ein typischer Fall aus dem Alltag des Arztes sei ein Vater, der sein einjähriges Baby frage, ob es lieber Gemüse oder Grießbrei essen will. „Ich habe versucht, ihm beizubrigen, dass er das selbst entscheiden muss.“ Die Folge dieser Hilflosigkeit: überquellende Wartezimmer und eine steigende Nachfrage nach psychosozialer Beratung. Gleichzeitig aber sei, so Abel, der bezirkliche Kinder- und Jugendgesundheitsdienst (KJGD) erheblich reduziert worden.

Der Berliner Berufsverband der Ärzte für Kinderheilkunde und Jugendmedizin teilt die Sorge der Weddinger KollegInnen. „Diese Probleme gibt es in allen Innenstadtbezirken“, sagt Sprecher Ulrich Fegeler. „Hoffentlich werden keine weiteren Stellen im KJGD gekürzt.“ Sabine am Orde