Notfalls ohne Kompromiss

■ Bärbel Höhn von Bündnis 90/Die Grünen ist Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen: „Betreibergesellschaften müssen Konsens suchen“

Höhn wurde bei den Grünen schon für allerhand Posten gehandelt – weil sie ihr Ministerium achtbar führt trotz einer nicht gerade bis in die Poren grün bewegten Koalitionspartnerin Ruhr-SPD. Jüngste Spekulationen: Höhn sollte Trittin als Bundesumweltminister nachfolgen, wenn dieser EU-Kommissar geworden wäre. Oder selbst EU-Kommissarin, wenn sie sich nicht auf dem bündnisgrünen Parteitag gegen die Kosovo-Politik der Bundesregierung ausgesprochen hätte.

taz: Ein Atomunfall im High-Tech-Land Japan. Nicht in Russland, nicht in der Slowakei und nicht in der Ukraine; nur dort sollen doch angeblich die wackeligen Meiler stehen. Muss jetzt nicht auch in Deutschland schneller ausgestiegen werden?

Bärbel Höhn: Die Aussage, dass Atomanlagen in hochindustrialisierten Ländern sicher seien, ist falsch. Der Gegenbeweis ist erbracht. Die Auffassung, dass „bei uns“ solche Unfälle – oder Störfälle – nicht passieren können, war allerdings auch schon in der Vergangenheit falsch. Harrisburg war ein US-amerikanisches Atomkraftwerk, und ein Beinahe-GAU fand 1988 in Biblis statt. Alles Reaktoren in Ländern mit den angeblich höchsten technischen Standards. Das so genannte Restrisiko besteht überall, wie der Zwischenfall in Japan, die unbeabsichtigt ausgelöste Kettenreaktion dort, jetzt gezeigt hat. Der Ausstiegsprozess hier wird dadurch sicher eine neue Dynamik erhalten.

Die Konsensgespräche der Bundesregierung mit der Atomwirtschaft waren doch bislang eher Verschleppungsgespräche. Ein Jahr ist vergangen. Und noch nicht eine Betreibergesellschaft – auch nicht die störanfälligen Altmeiler wie Biblis A oder Stade – muss sich ernsthafte Sorgen um den Bestand ihrer Anlagen machen. Muss die Bundesregierung jetzt nicht endlich per Gesetz den Ausstieg beschließen? Im Koalitionvertrag hieß es noch, dass die Gespräche mit der Industrie in einem Jahr beendet sein sollten – und dann der Ausstieg beginne.

Der Fahrplan für den Ausstieg ist eindeutig festgelegt worden. Der Vorschlag, den die grüne Seite jetzt gemacht hat und der ja in der Sache sehr hart ist (25 Jahre Laufzeit, Konsens bis Jahresende, dann Ausstiegsgesetz, die Red.), aber auch den Betreibern eine gewisse Freiheit bei der Umsetzung zugesteht, ist eigentlich sehr intelligent. Die Wirtschaft, die Betreibergesellschaften, müssen doch jetzt – gerade nach diesem schlimmen Unfall in Japan – den Konsens suchen. Sonst wird es ein Ausstiegsgesetz der Bundesregierung geben – ohne die Beteiligung der Betreibergesellschaften.

Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Frist für die Konsensgespräche mit der Wirtschaft ist aber doch schon abgelaufen. Die Wahl war im September 1998, und ein Gesetzentwurf für den Ausstieg liegt noch nicht vor.

Die Zeit für die Konsensfindung läuft in der Tat ab. Die Ausstiegsdebatte wird nach diesem Unfall an Fahrt gewinnen. Die Betreibergesellschaften wissen das. Man kann denen nur raten, den Konsens mit der Bundesregierung schnell zu suchen und von der sturen Position der Vergangenheit unverzüglich abzurücken.

Jetzt sind doch auch die WAA-Komplexe in Sellafield und La Hague, die dem atomaren Komplex in Japan von der Konzeption her – Wiederaufarbeitung und Brennelementeherstellung – ähneln, endgültig diskreditiert. Müssten Atomtransporte dorthin nicht auf Dauer gestoppt werden?

Die Transporte sind ja ausgesetzt, wegen der Strahlung an den Transportbehältnissen. Das Problem der Grenzwertüberschreitungen ist noch nicht gelöst. Ich bin aber der Meinung, dass nach diesem Atomunfall in Japan die Europäer auch aus dem gesamten Komplex der gefährlichen Wiederaufarbeitung so schnell wie möglich aussteigen müssen.

Interview:

Klaus-Peter Klingelschmitt