Kettenreaktionen bei SPD und Grünen

■  Nach dem Atomunfall in Japan: Trittin im Aufwind. SPD fordert wieder mal Atomausstieg. Japanische Atomarbeiter sind wahrscheinlich tödlich verstrahlt

Berlin/Tokio (taz/AP/dpa) – Die Kettenreaktion in der japanischen Atomfabrik konnte gestern gestoppt werden, meldeten die dortigen Behörden. Das Unglück in der Fabrik für AKW-Brennstoff hat aber in Deutschland die Diskussion wieder auf die Sicherheitsprobleme der Atomenergie gelenkt. Das Wort „Konsens“ war gestern im Vokabular deutscher Politiker nicht zu finden.

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Michael Müller sagte, der Unfall zeige, dass auch in technologisch hochstehenden Ländern wie Japan schwere Unfälle nicht ausgeschlossen werden könnten. Statistisch gesehen könne in Europa alle 25 Jahre ein „Großunfall“ passieren, meinte er. Deshalb bekräftige die SPD ihre Forderung, „so schnell wie möglich aus der Atomkraft auszusteigen“.

Bundesumweltminister Jürgen Trittin verneinte unmittelbare Gefahren. Von politischem Rückenwind durch den Unfall für die Atomausstiegsdebatte in Deutschland wollte der Minister nicht sprechen.

Die Internationale Atomenergiebehörde in Wien (IAEO) nannte den Unfall in Tokaimura den schlimmsten seit der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Die Behörde ist in der Burteilung von atomaren Störfällen in der Regel sehr zurückhaltend. Jetzt sagte ein Sprecher, selbst die Fast-Kernschmelze im US-AKW Three Mile Island 1979 sei weniger schlimm gewesen, weil es damals keine Verletzten gegeben habe.

Die deutsche Atomindustrie versuchte indes abzuwiegeln. Siemens sagte, in den vergleichbaren Uranfabriken des Konzerns in Lingen im Emsland und in den USA sei „kein vergleichbarer Unfall“ möglich. Die Hamburger AKW-Betreiberin HEW bereicherte die Diskussion mit der Feststellung, es sei nicht möglich, dass „in hiesigen Reaktoren durch eine Fehlleistung eine derart kritische Masse hergestellt werde“, die dann explodiere.

Umweltverbände und die Bürgerinitiative im Wendland forderten einen zügigen Atomausstieg. Falls bei den Konsensverhandlungen kein zügiger Ausstieg mit den Konzernen vereinbart werde, müsse die Bundesregierung das Aus für die Kernenergie per Gesetz auf den Weg bringen. Atomkraftgegner aus Deutschland und Holland wollen am Sonntag vor der Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau für die Abschaltung europäischer AKWs demonstrieren.

Aus Japan trafen gestern widersprüchliche Meldungen ein. Einerseits gaben die Behörden Entwarnung. Das Leben der drei am schlimmsten verstrahlten Arbeiter sei aber nicht zu retten, so Experten der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien. Sie haben zu viel Neutronen und Gammastrahlen abbekommen. Laut Polizei wurden 49 Arbeiter verstrahlt. Die 310.000 Anwohner im weiteren Umkreis durften ihre Häuser wieder verlassen. Die regierungsunabhängige Organisation Citizen Nuclear Information Center betonte jedoch, der Unfall sei noch nicht vorüber: „Radioaktives Material gelangt immer noch in die Atmosphäre.“ rem

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