Riechsalz für Suzanne Lenglen

■ Die apokalyptischen Reiterinnen des Frauentennis: Wer soll Venus Williams überhaupt noch schlagen? Antwort: Bestenfalls Serena Williams!

München (taz) – Zum 10. (und letzten?) Jubiläum des Grand Slam Cups fügte es ein freundliches Schicksal, dass das Münchner Publikum am gestrigen Sonntag (nach Redaktionsschluss) in den Genuss des spektakulären Schwesternduells zwischen Venus und Serena Williams kam. Für die Veranstalteragentur ISPR ein mehr als willkommendes Sahnehäubchen auf der der immer etwas schalen Grand-Slam-Cup-Torte. Immerhin treffen die momentan wohl spektakulärsten Figuren im Tenniszirkus aufeinander.

Venus landete vor noch nicht allzu langer Zeit in erster Linie noch wegen ihres ungewöhnlichen Haarschmucks in den Schlagzeilen. Das waren noch Zeiten, und sie sind lange vorbei. Mittlerweile geht die Diskussion viel eher in Richtung: „Wer soll Venus Williams in zwei Jahren noch schlagen?“ Die 1,86 Meter große 19-Jährige ist schon jetzt die Protagonistin des modernen Damentennis. Und das bedeutet größtmögliche Annäherung an die Qualitäten des Männerspieles, und das wiederum bedeutet: Powertennis. Hingis gut und recht, aber das kann die nicht. Nicht in dieser Konstanz, Härte und Präzision. Das war am Samstag zu sehen beim 6:2, 6:7, 9:7-Halbfinalerfolg von Venus. Hingis hat immer noch gute Chance gegen Venus Williams, aber nicht, weil sie besser ist, Venus Williams ist manchmal nur schlechter. Zu schlecht, um ihr eigenes Niveau zu halten. Was die Härte und die Genauigkeit der Schläge angeht. Was die Anforderungen an Laufarbeit und Reichweite angeht. Also: Wer soll sie noch schlagen, wenn es ihr gelingt, ihre Qualitäten auf stabilere Beine zu stellen?

Antwort: Serena, die kleine Schwester. Ein Jahr jünger und amtierende US-Open-Siegerin. Die kleinere, etwas kompaktere Ausgabe der Schwester. Ebenso entschlossen, ebenso lauf- und kampfbereit: Die apokalyptischen Reiterinnen des Frauentennis.

Aus und vorbei sind die Zeiten, als die ersten zehn der Weltrangliste dreißig Kilo Übergewicht mit sich herumschleppen durften. Was Arantxa Sanchez und Gabriela Sabatini schon früh geahnt und auch noch in Maßen umgesetzt haben, was Steffi Graf in erster Linie erfolgreich gemacht hat – die Williams-Schwestern haben es aufgegriffen und in voller Konsequenz umgesetzt: eine überlegene Physis als Basis ihres Spieles. Denn das Williams-Tennis lebt nicht in erster Linie von solchen Raffinessen wie Raumaufteilung und ständig wechselnden Tempi. Das Williams-Tennis lebt von der Wucht, die die Gegnerinnen zermürbt. „Slum-Tennis“ hat das ein Kollege hinter vorgehaltener Hand genannt. Aber: Auch um Slum-Tennis zu praktizieren, muss man zuerst einmal das Spiel beherrschen. Und das bedeutet, todsichere und zu jeder Zeit hundertprozentig präsente Grundschläge; das bedeutet vor allem die entsprechende körperliche Ausstattung.

Die Williams-Schwestern verfügen sichtbar über mehr als genug davon. Keine zierlichen Frauchen, die da auf dem Platz stehen. Suzanne Lenglen selig hätte sich beim Anblick solcher Gegnerinnen das Riechsalz reichen lassen. Schultern wie Möbelpacker und kompakte Oberarme. Ergebnis konzentrierter Fitnesstätigkeit? Schon jetzt nehmen die Anspielungen in eine andere Richtung zu. In erster Linie aus den Reihen der Konkurrenz, die sich die Bälle um die Ohren hauen lassen muss. Auch aus den Reihen derer, die da mehr oder weniger offen die Hoffnung pflegten, Tennis sei ja wohl ein in jeder Hinsicht „weißer Sport“. Beiden Fraktionen stehen schwere Zeiten bevor. Den einen dräuen die mittels kanonaler Wucht übers Netz geprügelten Bälle, und die anderen müssen sich wohl damit abfinden, dass die Williams-Schwestern und damit die junge Generation der Tennisspielerinnen dabei ist, alle zierlichen und zickigen Rituale des ehemaligen Nobelsportes Tennis endgültig in den Staub zu walzen.

Albert Hefele