Hippie-Geschichtenbuch

Zum Jubiläum des zweihundertsten Erscheinens des „Grünen Zweigs“ legt Werner Pieper eine kleine Geschichtsschreibung der Hippiebewegung vor  ■   Von Detlef Kuhlbrodt

Hippies, die langhaarigen Nebenhelden der 60er- und 70er-Jahre, „die Menschen der Steigerung“, von denen der französische Philosoph Lyotard 1972 sagte, eine Stunde ihres Lebens enthalte „mehr an Intensität (und weniger an Intention) als tausend Worte eines Berufsphilosophen“, haben keine gute Presse, wenn sie oder ihre Nachfahren überhaupt noch wahrgenommen werden. Albern gekleidete Spinner allesamt, mit einem Hang zu Ufo-Verschwörungstheorien und einer recht ekklektizistischen New-Age-Ideologie. Freaks, die in den Nischen des Hanfgeschäfts ihr kleines Auskommen finden, als Naturdrogenmischer in Kräutern rummachen oder als alt gewordene, vom ständigen LSD- und Haschischkonsum doch leicht gezeichnete Jugendliche auf Goa-Partys in indischen Klamotten herumhüpfen. Der gemeine Hippie sei „nur noch zu verachten“, schrieb Willi Winkler (selbst eine Art Hippie) neulich in der Süddeutschen Zeitung.

Werner Pieper, der Alternativ-Verleger aus Löhrbach, ist ein Hippie-Urgestein, wenn man's so sagen will. Mit farbenprächtigen Rastalocken, einem unaufgeregt ergrauten Bart und die Hände meditativ-entschlossen-abwartend ineinandergelegt, lächelt der 50-jährige „Medienexperimentator“ vom Cover seines zweihundertsten Grünen Zweigs. „Maximum Respect“ heißt der „bunte Jubiläums-Zweig“, mit dem sich der Verleger – der früher allwöchentlich eine schöne Drogenkolumne in der taz mit seltsamen Texten bestückte – bei seinen Lehrern bedankt, bei „Menschen, Plätzen und Ereignissen, die mich oder/und einige von uns in den vergangenen 30 Jahren mit formten“.

Eine gegenseitige Hommage sozusagen von und an die älteren Helden der westlichen Subkultur mit allerlei lebensgeschichtlichen Einsprengseln: Achim Reichel, Krautrocker der späten 60er („Rattles“), ergänzt Piepers begeisterte Hymne auf den „Rock 'n' Roll-Schamanen“ Little Richard. Howard Marks, Ex-Haschischgroßdealer, der zur Zeit mit seinem Erinnerungsbuch durch die Gegend tingelt, steuert seinen Teil zu Piepers Dealergeschichten aus „Highdelberg“ bei. Des Verlegers Text über das Sterben des Hohepriesters der LSD-Kultur, Timothy Leary, wird vom Hippie-Anthropologen Terence McKenna begleitet. Thomas Meinecke („FSK“) steuert einen New-Orleans-Reisebericht bei. Die Ecstasy-Erfinder Ann und Alexander Shulgin schreiben, wie sie mit dem nimmermüden LSD-Erfinder Albert Hofmann einmal Ecstasy nahmen. Und Matthias Bröckers vom Hanfbuch/Hanfhaus ist auch dabei. Am Ende des Buchs lässt Pieper schließlich sein Pseudonym über sich selbst erzählen.

„Maximum Respect“ liefert also Puzzlestückchen einer „kleinen Geschichtsschreibung“ (Deleuze) vor allem der westdeutschen Alternativkultur, als deren Teil auch die taz vor hundert Jahren mal entstand. Als Rockmusik noch subversiv war, organisierte Pieper viele Konzerte und verkaufte als Kleindealer sieben Jahre lang Hasch und LSD aus Überzeugung. Anfang der 70er-Jahre gründete er außerdem die „grüne Hilfe“, eine Gefangenenhilfsorganisation für erwischte Dealer.

Nun liefert er – nicht ganz uneitle – Fragmente für eine bislang nicht geschriebene Geschichte der Drogensubkultur im Nachkriegswestdeutschland der 60er- und 70er-Jahre, erinnert an die diversen Alternativmedien wie Humus, KompostGrüner Zweig sowieso – und an die Netzwerke, die zum Teil bis heute, wie der „Whole Earth Catalog“, an ihren sowohl ländlichen als auch internationalistischen Hippie-Utopien festhalten. Außerdem geht es um „magische Orte“, Indianer, ein Hippiefestival auf dem Monte Verita und die Versuche, sich gegen rechte Esoterik abzugrenzen.

In dem Teil des Buchs, der in Europa spielt, sind die Fronten ziemlich klar: Auf der einen Seite sind die sozusagen fortschrittlichen, naturnahen, offenen Kräfte. Sie sehnen sich nach dem Ursprung und stehen im lebendigen Kontakt mit raunenden Quellen und solchen Dingen. Sie schließen sich auf ihren Sinn- und Selbstverwirklichungssuchen mit anderen Freaks zusammen, während auf der anderen Seite die Kräfte der sinnabtötenden Normalität zu finden sind. Das klare Weltbild scheint bei aller openmindedness den Blick auf die Dinge leider etwas zu behindern. Denn es gibt jedenfalls – wie in vielen Büchern, aus der Hippieecke – einen recht eklatanten Widerspruch zwischen der ambivalent-enthusiastischen Analogie – was die Atombombe für die Physis sei LSD für die Psyche, wie das dumme Albert-Hoffmann-Credo so lautet, und der Beiläufigkeit, mit der Pieper von seinen Trips berichtet. Eine Beiläufigkeit, die darauf hindeutet, dass auch Drogen wie LSD bei regelmäßigem Gebrauch zur nicht mehr ganz so spannenden Gewohnheit werden. Pieper sagt, er hätte in seinem Leben zirka 350 Trips genommen und kein schechter wäre darunter gewesen. Seltsame Zeiten werden das gewesen sein, in denen man mit Freunden auf Trip einen Freund in der Psychiatrie besuchte, der wegen eines schlechten Trips dort eingeliefert worden war, von seinen Besuchern einen neuen Trip erbettelte, um daraufhin erneut abzudrehen.

Die Fronten verwischen in den Reiseberichten am Ende des Buchs. Wenn der Verleger, der im letzten Jahr zwei sehr schöne CDs mit Drogenstücken aus der frühen Jazzgeschichte herausbrachte („The sky is high & so am I“), davon erzählt, wie er mit einem gambianisch-deutschen Bauteam im Herbst 86 nach Gambia fuhr, um bei diesen und jenen Arbeiten zu helfen, vor allem ein paar befreundete Musiker zu besuchen und begeistert einen Auftritt von Youssou N'Dour anzugucken; oder wenn er von seinem Aufenthalt in New Orleans erzählt, spürt man eine sympathische Verunsicherung, die vielleicht Bedingung ist, für das neugierige Erstaunen, das einigen anderen Texten aus der Hippiewelt ein bisschen abgeht.

Werner Pieper: „Maximum Respect“. Grüner Zweig 200 , 290 Seiten, 30 DM