■ Bis vor kurzem gehörte er zu den mächtigsten Männern Deutschlands: Oskar Lafontaine, ehemaliger SPD-Parteichef und ewiger Widersacher von Kanzler Gerhard Schröder. Gestern erschienen vorab Auszüge seines Buches „Das Herz schlägt links“. Der Politpensionär hat eine in der deutschen Parteiengeschichte einmalige Abrechnung zu Papier gebracht.
: Wer hat Angst vorm roten Mann?

Es hatte von Anfang an was von einer magischen Beschwörungsformel, wenn „Oskar“ und „Gerd“ vor laufenden Kameras immer wieder wiederholten: „Kein Blatt Papier passt zwischen uns.“ Und eigentlich hat nie einer so richtig an die Freunschaftsschwüre geglaubt. Umgekehrt wäre wohl auch niemand auf die Idee gekommen, dass der Lafontaine-Schrödersche Zweckbündnis in einer solchen öffentlichen Schlammschlacht enden würde.

Oskar, der „Napoleon von der Saar“, führt nun einen (Rache)-Feldzug – gegen Kanzler Schröder, gegen dessen Minister und letztlich gegen die ganze Partei. Nun ist es nicht mehr nur ein Blatt, dass zwischen Lafontaine und Schröder passt oder nicht, sondern 320 Seiten: Am 13. Oktober erscheint „Das Herz schlägt links“ – eine in der deutschen Parteiengeschichte einmalige öffentliche Abrechnung.

Nach den jüngsten Vorabveröffentlichungen in der gestrigen Welt am Sonntag haben die SPD-Oberen sich eisernes Schweigen verordnet. Auch der ebenfalls angegriffene designierte SPD-Generalsekretär, Franz Müntefering, weigerte sich in einem Interview mit der taz hartnäckig (siehe Seite 7), Lafontaine auch nur mit einem einzigen Satz zu kommentieren. Nur der Kanzler hatte am Samstag beim Parteitag des SPD-Verbands Westliches Westfalen an die Adresse Lafontaines gerichtet gesagt: „Flucht vor der Verantwortung ist das Allerschlimmste. Es ist das, was die Menschen uns nie verzeihen werden.“

„Was reitet Oskar nur?“, fragen sich selbst ihm wohlgesinnte Genossen. Erklärungsversuche, dass der nach dem Attentat von 1990 als besonders empfindlich geltende Lafontaine des Kanzlers Mobbing endlich leid sei, ziehen nicht mehr.

Schließlich tritt Lafontaine nicht nur Schröder gewaltig ins Kreuz, sondern schadet dem Ansehen der gesamten deutschen Sozialdemokratie. Nun empfahl der Bundestagsabgeordnete und Sprecher der SPD-Arbeitsgruppe Neue Länder, Mathias Schubert, dem ehemaligen Parteichef sogar, darüber nachzudenken, „ob die SPD noch seine politische Heimat ist“.

Selbst die immer noch bekennende Lafontaine-Anhängerin und ehemalige Juso-Chefin Andrea Nahles, regt sich über die „aufreißerische und boulevardmässige Vermarktungskampagne“ des Buches auf. Damit riskiere Lafontaine seine Glaubwürdigkeit – auch wenn sein Text durchaus authentisch sei. Sie hatte ihrem ehemaligen Parteichef vor einiger Zeit geraten: „Du musst dich entgiften.“

Aber offensichtlich hat der gute Rat nichts genutzt. Auch der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Joachim Poß, glaubt, dass Lafontaine sich „etwas mehr Zeit zum Reflektieren hätte nehmen müssen“.

Lange haben sich viele Genossen und Genossinnen Lafontaine zurückgewünscht. Sie hätten ihm sogar verziehen, dass er sie mit seinem plötzlichen Rücktritt im März im Stich gelassen hatte, wenn er ihnen nach den jüngsten Wahldesastern noch einmal den Weg aus dem Tal der Tränen gewiesen hätte. Stattdessen: Oskar gegen den Rest der (sozialdemokratischen) Welt.

Wenn Lafontaine wirklich plant, beim Berliner Parteitag im Dezember die offene Konfrontation mit Schröder zu suchen und einen Richtungsentscheidung über den Kurs der Partei herbeizuführen, hätte er sich keine schlechtere Vorlage schaffen können.

Mit seiner Vermarktungsstrategie, bei der er ausgerechnet vom Springer-Verlag mindestens 800.000 Mark für sein Buch rausgeschlagen hat, hat sich „die Symbolfigur der sozialen Gerechtigkeit“ allerdings selbst entwertet. Bei so viel Geschäftstüchtigkeit bewegt Lafontaine sich in nicht allzu großer Entfernung von dem so oft als „Genosse der Bosse“ gescholtenen Kanzler.

Paradoxerweise stärkt Lafontaine mit dieser Abrechnung den Kanzler, den er doch am liebsten stürzen würde. Denn freiwillig will kein SPDler die rot-grüne Regierung wirklich gefährden. Dafür ist auch bei den Linken der Wille zur Macht zu ausgeprägt. Selbst wer mit Lafontaine inhaltlich übereinstimmt, die Art und Weise, wie er sie kundtut, verbittert viele SPDler – egal, welchem Flügel sie angehören. Karin Nink, Berlin