Gegen den Terror der Zentren

Ein Interview mit der zukünftigen Kampnagel-Intendantin Gordana Vnuk über neue Theaterkonzepte, Osteuropa, die Peripherie und Tom Stromberg  ■ Von Ralf Poerschke

taz hamburg: Was hat Sie an Kampnagel gereizt?

Gordana Vnuk: Mir scheint, dass Kampnagel alles vereint, was ich bisher getan habe: Ich habe langjährige Erfahrung mit meinem Eurokazz-Festival in Zagreb, und seit drei Jahren leite ich das Theaterprogramm in einem Kulturzentrum, dem Chapter Arts Center in Cardiff. Mich interessiert nun, wie man ein jährliches Programm mit einem Festival im Sommer verbinden kann. Ich habe Kampnagel viele Male besucht, ich kenne die Leute hier, ich finde die ganze Umgebung sehr freundlich, und es sind immer sehr interessante Dinge hier passiert. Das finde ich ziemlich inspirierend: nicht nur infrastrukturell, sondern auch in einem „geistigen“ Sinne.

Was werden Sie zeigen?

Es ist im Moment noch zu früh, um Namen zu nennen. Aber sicherlich werde ich weiter mit den Künstlern zusammenarbeiten, die ich schon lange kenne, und meine Kenntnisse der internationalen Theaterszene nutzen. Was mir natürlich noch fehlt, sind Kenntnisse, was die lokale Szene betrifft, aber bis 2001 habe ich ja noch Zeit, die Künstler und ihre Arbeit kennenzulernen und zu entscheiden, in welchem internationalen Kontext ich sie präsentiere. Die lokale Szene wird eine sehr wichtige Rolle spielen, jedenfalls waren so meine Erfahrungen in Wales: Im Chapter haben wir rund 50 artists in residence, mit denen ich sehr intensive Beziehungen pflege.

Welches Ziel haben Sie?

Kampnagel kann ein guter Ort sein, um neue Theaterphänomene zu identifizieren, zu artikulieren und sie in einen kritischen theoretischen Diskurs zu überführen. Das finde ich sehr wichtig, denn es gibt derzeit keinen Ort in Europa, an dem man sich seriös und verantwortlich mit Theater beschäftigt. Alle reden nur über den Markt, vom Kaufen und Verkaufen. Die Theaterlandschaft heutzutage, besonders in Europa, ist sehr uniform. Aus der Öffnung des Theaters für bildende Kunst, High-Tech, Tanz, Bewegung und andere Medien in den 80er Jahren hat sich eine Mode entwickelt. Und wo immer man hinkommt, wird man von ein und derselben Theatersprache terrorisiert – besonders im Tanz. Ich möchte den Raum öffnen für etwas anderes: für Gruppen und Künstler, die sich nicht an den kulturellen und wirtschaftlichen Machtzentren orientieren, und für unabhängige Konzepte, die sich jenseits des Marktdruckes entwickeln. Diese kommen meist aus der Peripherie Europas und aus nicht-europäischen Kulturen. Und damit einhergehen muss eine Veränderung der Wahrnehmungsgewohnheiten.

Sie sehen das Osteuropa-Programm Dieter Jaenickes beim Sommertheater-Festival Jahr sehr kritisch. Werden Sie in Zukunft dafür sorgen, dass man hier den Osten anders kennenlernt?

Meine ästhetischen Entscheidungen hängen nicht von meiner Nationalität ab, da mache ich keine Kompromisse. Ich werde natürlich versuchen, die wichtigen Künstler aus Osteuropa zu identifizieren, aber mit ein biss-chen mehr Verantwortung und weiter in die Tiefe gehend als Dieter Jaenicke. Ich wünschte, er hätte sich mit Osteuropa so viel Mühe gegeben wie mit Südamerika. Man kann im Moment viel Geld locker machen, wenn man osteuropäische Gruppen zeigt, doch dahinter stehen oft ausgesprochen kolonialistische Einstellungen.

Wenn Sie auf Kampnagel antreten, ist Tom Stromberg schon ein Jahr Schauspielhaus-Intendant. Wie werden Sie dem begegnen?

Ich kenne Tom Stromberg sehr lange, ich war oft in Frankfurt in seinem Theater im Turm, und er war einmal auch in Zagreb. Es gab eine Zeit in den Achtzigern, da haben wir dieselben Künstler gezeigt. Mittlerweile versuche ich weiter zu gehen in die Neunziger und die Theatersprache der kommenden Generationen zu identifizieren. Aber ich glaube, das ist okay: Kampnagel sollte diese Rolle haben, den Staatstheatern immer voraus zu sein. Und ich glaube, Hamburg ist groß genug für zwei unterschiedliche Konzepte.

Allerdings steht Ihnen weitaus weniger Geld zur Verfügung als Stromberg.

Die Welt ist eben ungerecht, besonders wenn man die Größe von Kampnagel bedenkt und was man von diesem Ort erwartet. Natürlich werde ich für mehr Geld kämpfen. Und ich hoffe, dass sich die Sponsoren bewusst sind, dass Kampnagel der Ort für die junge Generation ist, an dem sich Investitionen lohnen.