Endlich einmal Teil der Bewegung sein

■ „tocotronic“ gab im Aladin einen zeitweise spaßigen Grundkurs in Jugenddepression

Es nimmt Wunder, welch geringe Zahl an Lenzen dieser Tage schon ausreicht, von Generationenunterschieden zu reden. Dabei liegt mir kaum etwas ferner als mich über das recht jugendliche Publikum beim „tocotronic“-Konzert im Aladin zu erheben. Auch ist es nicht altmodisches Gemüt, das mich während der gesamten musikalischen Darbietung einen gewissen Unwillen spüren lässt.

Ein raumfüllender Klang hebt an, wandert und wabert durch den Saal, bevor die Herren Zank, Müller und von Lotzow die Bühne betreten. Dankchoral oder humoristischer Abgesang? Mit diesem Rätsel steht der Kritiker einsam in der jubilierenden Menge. Sie füllt die nur Sekunden dauernde Pause zwischen der synthetischen Wolke und den ersten Akkorden der elektrischen Gitarre. Schleppend stimmt das Schlagzeug ein. „Die Wege, die wir gehen, sind menschenleer“, lauten die ersten Verse. „Die Zeit steht still.“ Es werde Rockmusik. Diese Botschaft ziert den jüngst erschienenen Tonträger des Ensembles „tocotronic“.

Anlässlich der Präsentation befleißigen sich die drei Musiker deutscher Diktion. Ob aber das musikalische Ergebnis sich in die Sphären jenseits der Hochschulreife übertragen lässt? Wenn von Freizeitheimen und letzten Sommerferientagen die Rede geht, schleicht sich leiser Zweifel ein. Leise geht es nicht zu. „tocotronic“ orientieren ihren Umgang mit Instrument und Stimme an Genres wie Britpop oder Garagenrock.

Das Ergebnis ist amüsant anzuhören. Und doch erwecken sie den Eindruck, sie hätten sich vom politischen Lied verabschiedet. Nicht, dass dies grundsätzlich unehrenhaft wäre. Allein, die Ausstellung vermeintlicher Depressivität wirkt, anders als der affirmative Bezug auf Popstrategien, der in den Arbeiten von „Blumfeld“ oder Rocko Schamoni anklingt, seltsam eitel. Unfreiwillig komisch gar. Denn die Klientel scheint kaum gewillt, „tocotronic“ bis hierher zu folgen.

Mag sein, dass wir es mit Musikern zu tun haben, die, wie „Spex“ ihnen jüngst attestierte, „hierzulande die einzige diskurswürdige Integrität einer szeneverwurzelten Jugend in die Charts getragen haben“. In der Verbindung von Text und Musik treten „tocotronic“ in eben jene Rockmusikfalle, die zu überwinden sich deutschsprachige Popmusik seit einiger Zeit anschickt: Es ist der Glaube an den authentischen Ausdruck. Im Moment, da die Attitüde es den HörerInnen ermöglicht, kulturelle Dissidenz als Mehrwert abzuschöpfen, wiederholt sich nur das, was ein zugegebenermaßen schöner Satz wie „Ich hasse euch, Tanztheater dieser Stadt“ an Kritik enthält. Das neue Bildungsbürgertum in Nachfolge von „1968“ feiert in den klatschenden Händen der Kinder fröhliche Urständ. Schade, denn der dazugehörige Song gehört mit den ausgedehnten Drone-Passagen zum Überzeugendsten, was an diesem Abend geboten wird.

Das Encore „Ich will Teil einer Jugendbewegung sein“ geht den gleichen Weg. Allmählich wird klar, die Leistung von „tocotronics“ Platte „K.O.O.K.“ besteht darin, zu zeigen, dass gute Musik als Rock hierzulande selten funktioniert hat. So tut man gut daran, sein Bier zu trinken und „tocotronic“ beim Erwachsenwerden zuzuschauen. Das macht zeitweilig sogar Spaß. Tim Schomacker