Vier Leute, das muss reichen“

taz-Serie „Täglich ein guter Grund für den Atomausstieg“. Atomstrom gefährdet die Technologie der Kraft-Wärme-Kopplung in einem der effizientesten Blockheizkraftwerke Europas, Berlin-Mitte    ■ Von Richard Rother

Rote, blaue, grüne, gelbe Lichter leuchten auf, gehen aus, blinken vor sich hin; ein Wirrwarr verschiedenfarbiger Linien und Kurven verbindet sie. Fiele nicht ein trübes Tageslicht von der Seite in den Raum, könnte man denken, im Raumschiff zu sitzen, Mitglied im Team von Captain Kirk zu sein, die Sternzeit Sternzeit sein lassend. Aber hier ist nicht die Brücke, hier ist die Warte – Schaltzentrale des Blockheizkraftwerkes Mitte, eines der effizientesten Europas. Die Lichter an der Wand – sie stehen für Turbinen, Generatoren, Abhitzkessel, Transformatoren.

Diese schöne, neue Welt ist bedroht. „Der Preisverfall auf dem Strommarkt hat gravierende Auswirkungen“, sagt Bewag-Sprecher Siegfried Knopf. Derzeit findet ein knallharter Verdrängungswettbewerb auf dem liberalisierten Strommarkt statt. Stromhändler, die Billigstrom unter anderem aus abgeschriebenen Atomkraftwerken beziehen, drängen mit Dumpingangeboten auf den Markt.

Auch bisherige Monopolisten wie der Berliner Stromversorger Bewag senken nun sukzessive die Preise, um die Kunden zu halten. Massive Rationalisierungen und Kostensenkungen sind die Folge. Arbeitsplätze sind ein bedeutender Kostenfaktor“, sagt Knopf. 40 Prozent aller Jobs in der Energiebranche der Republik dürften in naher Zukunft wegfallen.

Gefährdet sind nicht nur Jobs, sondern auch die umweltfreundliche Technik: 12 von 13 Kraftwerken der Bewag funktionieren nach dem relativ ökologischen Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). 75 Prozent des Stromverbrauchs der Hauptstadt werden so abgedeckt – einmalig in Westeuropa.

Das Problem ist: Diese Kraftwerke können nicht so kostengünstig produzieren wie herkömmliche Groß- oder Atomkraftwerke. Knopf befürchtet daher: „In den nächsten Jahren werden wir eini-ge Kraftwerke stilllegen müs-sen.“

Das Kraftwerk Mitte ist zunächst nicht dabei. In der Warte sitzen die Schaltmeister und Leitstandsfahrer vor ihren Bildschirmen. Sie haben alles im Blick. „Im Störfall fahren wir die Anlage sofort in einen sicheren Zustand“, sagt Schaltmeister Udo Rosenberg. Wenn nur auch die Arbeitsplätze so sicher wären. Der 40-Jährige ist verbittert. „Vier Leute hier oben, das muss halt reichen.“

Bisher sind zwölf Mitarbeiter pro Schicht in der Schaltzentrale des Kraftwerks beschäftigt. Einer von ihnen sagt: „Jetzt wird die Warte ausgedünnt.“ Er will nicht genannt werden. Die Angst um den Job.

Das Kraftwerk Mitte ist beileibe nicht das einzige, das vom Personalabbau betroffen ist. Bis zum Jahr 2002 werden in den Bewag-Kraftwerken knapp zwei Drittel aller Stellen wegfallen. Dann werden noch tausend Menschen in der Stadt Strom erzeugen. In drei Jahren werden nur noch rund 4.500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für die Bewag arbeiten. Derzeit sind es 8.500.

Kein Wunder, dass die Stimmung in der Warte im Kraftwerk Mitte nicht die beste ist. Für die Beschäftigten ist Gelb eine Reizfarbe. „Strom hat keine Farbe, so ein Unfug“, sagt einer, auf den Werbeslogan der Billigkonkurrenz anspielend. An einem Haken hängen mehrere Schutzhelme, manche sind gelb. Die Wände sind aus Lochstahlplatten, die Tischplatten aus Holz. Zimmerpflanzen verbreiten Gemütlichkeit.

Die Männer in der Warte belastet nicht nur der Personalabbau und die Arbeitsverdichtung – auch die Schichtarbeit ist ein Problem. „Je älter man wird, desto müder wird man“, sagt Rosenberg. Seit 18 Jahren schiebt der Mann mit dem Schnauzer Schichtdienst. Wäre die Arbeitsmarktlage nicht so prekär – er hätte längst gekündigt.

„Ich kenne wenige Schichtarbeiter, die keine Familienprobleme haben.“ Der Mann mit dem Ehering lässt sich in einen Stuhl fallen, streckt die Beine weit von sich. Im Radio läuft „I can't get no satisfaction“. Dennoch sind die Beschäftigten stolz auf ihr Werk. 600 Millionen Mark stecken in dem 1997 fertig gestellten Objekt, sagt Manfred Spaniel. Der graubärtige Mann führt regelmäßig Besuchergruppen durch das Werk. Er kennt sich aus in den riesigen Hallen, lotst die Besucher Stockwerk für Stockwerk über glänzende Stahltreppen, deren Geländer knallrot gestrichen sind. Im Generatorenraum ist es heiß. Es pfeift und zischt. Der Dampf arbeitet – physikalisch betrachtet.

„Wenn man schon fossile Brennstoffe nutzt, sollte man das möglichst effektiv machen.“ Manfred Spaniel versucht den Maschinenlärm zu übertönen. Die energetische Bilanz dieses Kraft-Wärme-Kopplung-Werks kann sich sehen lassen. Bis zu 90 Prozent der eingesetzten Energie werden zur Wärme- oder Stromerzeugung genutzt. Ein sehr hoher Wirkungsgrad. Zum Vergleich: Bei einem herkömmlichen Kraftwerk, das nur Strom erzeugt, liegt der Wirkungsgrad bei 40 Prozent. Der Rest geht buchstäblich zum Schornstein und Kühlturm hinaus.

Spaniel schlendert nach draußen an das Spree-Ufer. Der Herbststurm schlägt Wellen auf dem trüben Wasser. Das Flusswasser wird für Kühlzwecke nicht benötigt – im Gegensatz zu Kernkraftwerken: Sie geben die gesamte Restwärme ans Kühlwasser und damit an die Gewässer in ihrer Umgebung ab. „Um die AKW-Abwärme sinnvoll zu nutzen, müsste man schon eine Millionenstadt drumherum bauen.“ Manfred Spaniel grinst, dann spuckt er ins Wasser.