■ Die Rechte hat die Mehrheit, Haiders extremistische FPÖ die Hegemonie. Die Sozialdemokraten wurden abgewählt. Was nun?
: Das Debakel der neuen Mitte

Diese Wahl zeigt: Die beiden Volksparteien haben den Kampf gegen Haider verloren

Nimmt man normale politische Kriterien zum Maßstab, dann wurde die österreichische Sozialdemokratie am Sonntag abgewählt. Das wäre, wenn schon nicht besonders erfreulich, so doch nicht wirklich überraschend, regiert diese Partei doch seit über 30 Jahren in führender Rolle das Land.

1979, vor zwanzig Jahren also, holte der legendäre Bruno Kreisky zuletzt eine absolute Mehrheit für die SPÖ, doch auch unter Franz Vranitzky vor vier Jahren erkämpfte die Partei noch stattliche 38 Prozent. Und nun der harte Aufschlag auf dem Kellerboden der Realität – 33,4 Prozent, dies ist, zumal für eine derart sieggewohnte Partei, ein Debakel.

Freilich gehört es zu den Eigentümlichkeiten der österreichischen Politszenerie, dass normale politische Maßstäbe nicht gelten. Denn es gibt zur waidwunden und siechen SPÖ keine Regierungsalternative – sieht man von einer unter Einschluss der radikal rechten Freiheitlichen (FPÖ) Jörg Haiders ab. Die kamen mit einer aggressiven Kampagne, die weit über das Maß bekannter rechtspopulistischer Rhetorik hinausging („Nazimethoden“, kritisierte Haiders einstige Mitstreiterin, die nunmehrige Chefin des Liberalen Forums, Heide Schmidt), auf den zweiten Platz – mit 27,2 Prozent zwar nur hauchdünn vor der konservativen Traditionspartei ÖVP. Doch am Ergebnis lässt sich nicht drehen und nicht rütteln: Die Rechte im Land hat die Mehrheit, und innerhalb dieser Rechten hat die radikale Partei die Hegemonie erobert.

Die unmittelbaren Folgen dieser neuen Konstellation sind noch nicht wirklich abzusehen. „Kein Stein wird auf dem anderen bleiben“, hatte Jörg Haider im Wahlkampf versprochen – gut möglich, dass es ihm jetzt schon gelingt, sein Versprechen einzulösen. Viktor Klima, der als volkstümlich-händeschüttelnder SP-Vormann vor zweieinhalb Jahren den Stab von Franz Vranitzky übernommen hatte, wird wohl den Usancen entsprechend mit der Regierungsbildung betraut werden. Doch es ist keineswegs sicher, dass ihm die Neuauflage der nunmehr zur kleinen geschrumpften „großen Koalition“ mit der Volkspartei gelingen wird. Dies nicht nur, weil sich die auf den dritten Platz zurückgefallene konservative ÖVP paradoxerweise in der komfortabelsten Situation befindet, sondern weil in diesem Wahlkampf eine aggressive, fast endzeitliche Wendestimmung über dem Land hing. Nach über einem Jahrzehnt großkoalitionärer Langeweile „muss“ sich etwas ändern, egal was – so der Grundtenor in allen Schichten und in allen Milieus.

ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel hatte zwar im Wahlkampf angekündigt, er wolle, sollte seine Partei auf den dritten Platz zurückfallen, in die Opposition gehen. Doch wenn Klima mit der Regierungsbildung scheitert, könnte Schüssel sich von seinem Wahlversprechen entbunden fühlen. Er könnte dann – nicht ohne innere Logik – argumentieren, dass die WählerInnen vor allem die Sozialdemokraten abgestraft haben und deshalb nun eine schwarz-blaue Regierung mit der Haider-Partei eine legitime Konsequenz wäre. Überraschen würde diese Entwicklung jedenfalls kaum jemand, im Gegenteil: Dies scheint die realistischste Variante zu sein.

Doch wenn auch die unmittelbaren Konsequenzen noch offen sind, die mittelbaren Folgen der Zäsur des 3. Oktobers sind klar: Wenn die SPÖ/ÖVP-Koalition noch einmal regieren sollte, dann macht sich Haider spätestens bei den nächsten Wahlen – die dann wohl auch nicht erst in vier Jahren stattfinden werden – auf den Sprung ins Kanzleramt. Kommt es jetzt schon zur schwarz-blauen Koalition – und sei's unter Führung der ÖVP –, steht die Sache nicht viel besser: Dann wird Haider die Regierung nach ein, zwei Jahren platzen lassen und in die Wahlschlacht um den ersten Platz ziehen.

Die beiden Traditionsparteien SPÖ und ÖVP haben nie ein Mittel gefunden, um den rechtspopulistischen Volkstribun Haider zu stoppen – und es ist durchaus möglich, dass er mit seinen 27, 2 Prozent und dem Aufstieg zur Großpartei längst zu stark geworden ist, als dass man ihn langfristig noch erfolgreich von den Regierungsbänken fernhalten könnte.

So markiert das Ergebnis vom Sonntag vor allem eins: das totale Debakel einer Politik der „neuen Mitte“ österreichischer Art. Viktor Klima war angetreten, um mit viel Modernisierungsrhetorik und „zähnefletschender Herzlichkeit“ (© der Philosoph Rudolf Burger) Haider den Wind aus den Segeln zu nehmen, gleichzeitig alles beim Alten zu lassen und doch die Erneuerungsbedürfnisse der Leute zu befriedigen. Die SPÖ, mehr als hundert Jahre alt und seit 30 Jahren an der Regierung, sollte plötzlich so jung und frisch aussehen wie Tony Blairs New-Labour-Party, so schnittig-mittig wie die Schröder-SPD. Das Parteibuch wurde durch eine Plastik-Card ersetzt.

Dieser Kurs ist dramatisch gescheitert.

„Wir müssen uns ändern“, verkündete demnach am Wahlabend auch der angeschlagene Bundesgeschäftsführer der SPÖ, Andreas Rudas. Und einige aus der ersten und vor allem der zweiten Reihe der Partei sagten auch schon laut, in welche Richtung die Reise gehen muss: Reideologisierung, ein Ruck der Sozialdemokraten nach links – das sind die Parolen der Stunde. Es wird jetzt einen „Druck nach links geben“, prophezeit ein altgedienter Grande der Partei. Motto: Mehr Lafontaine, weniger Schröder.

Eine rechte Koalition von ÖVP und FPÖ ist keineswegs unwahrscheinlich

Es würde damit zumindest die seltsame Schieflage der österreichischen Politik behoben – dass die Sozialdemokratie als „natürliche Regierungspartei“ immer mehr in die Mitte rückt, im täglichen Pragmatismus auch die letzten Spurenelemente sozialdemokratischer Identität verliert, die Konsenspolitik zu ihrer Raison d'être erhebt – während die bürgerliche Mitte zerfällt und die Rechte den politischen Konflikt monopolisiert, alle Leidenschaften – seien es positive, seien es negative – usurpiert, stetig wachsend, ewig gewinnend.

Wäre ein solcher Kurs erfolgsversprechend? Garantie gibt es hierfür keine. Ist die Sozialdemokratie fähig, dieses Manöver einzuleiten? Auch das ist fraglich. Absurderweise hat es, nach den ersten Momenten des Schocks, den Anschein, als wären die SPÖ-Vorleute noch nicht hart genug auf dem Boden der Realität aufgeschlagen. Noch funktionierten die Machtreflexe. „Wir sind immer noch stimmenstärkste Partei“, so die Sprachregelung, auf die sich die Spin-Doctors der Partei nach den ersten Stunden der Sprachlosigkeit verständigten.

Gut möglich, dass die SPÖ noch eine Niederlage braucht, um die Zeichen der Zeit zu erkennen. Dies wäre tragisch, für die Sozialdemokratie und für das Land. Denn die nächste Niederlage wäre eine Niederlage zu viel – es wäre die vernichtende. Robert Misik