Das Licht kommt von oben

In Ruanda entsteht erstmals seit dem Völkermord eine Zivilgesellschaft, die sich auch Kritik an der Regierung traut – mit Nachhilfe aus deren Reihen. Denn die herrschende Partei möchte die Wahlen gewinnen  ■   Aus Kigali Dominic Johnson

„Ist man ein Feind des Landes, weil man eine Politik kritisiert – nach dem Motto: Wenn du vom Präsidenten sprichst, sprichst du vom ganzen Land?“

Im Treppenhaus ist es rabenschwarz, denn die staatliche Elektrizitätsgesellschaft hat den unteren Stockwerken den Strom abgeschaltet. Aber oben ist Licht, und einige emsige Menschen hetzen an Zeitungsstapeln und Computerleitungen vorbei. Hier, im erleuchteten dritten Stock eines Bürogebäudes in einem Außenviertel der ruandischen Hauptstadt Kigali, entsteht die neue Medienlandschaft Ruandas.

„Wir tun unser Bestes“, sagt James Vuningoma, Chefredakteur der unabhängigen, wenngleich regierungsnahen Wochenzeitung New Times, und breitet hilflos lachend die Arme aus. Eine Hand voll Journalisten produziert das Blatt, das seit vier Jahren erscheint, aber wegen erheblicher Produktionsschwierigkeiten am Anfang erst in diesem August seine 100. Ausgabe feierte. Nebenan sitzt die ebenfalls unabhängige, wenngleich regierungsnahe Nachrichtenagentur Rwanda News Agency, die jünger ist, noch weniger Mitarbeiter hat und deren Tagesdienst praktisch als Einmannprodukt des rührigen Jean-Baptiste Kayigamba entsteht. „Es gibt einfach zu viele Geschichten“, seufzt der. „Wir können längst nicht alles abdecken.“

Bis wirklich eine kritische Öffentlichkeit entsteht, ist der Weg allerdings noch weit. Es gibt nicht einmal eine ruandische Tageszeitung – die staatliche Druckerei sieht sich dazu nicht in der Lage, und selbst die New Times wird in Uganda gedruckt. Das soll sich zwar bald ändern, beteuern ruandische Journalisten.

Aber Ruanda verfügt kaum über genug qualifizierte und erfahrene Medienprofis, wie Laurent Nkusi, Leiter des Lehrgangs für Kommunikationswissenschaften an der Nationalen Universität von Ruanda, erklärt: „Es gibt bei uns keine Kultur der Information. Information ist, was von oben kommt.“

Doch gerade von oben kommen neue Töne. So bekam Ruanda Ende September eine Menschenrechtskommission. Die neunköpfige Kommission ist zwar staatlich, aber nach Angaben eines ihrer Mitglieder wird sie durchaus unabhängig Stellung zu Menschenrechtsverletzungen beziehen, wie sie nach Ansicht ausländischer Organisationen wie amnesty international in Ruanda zahlreich durch die Sicherheitskräfte begangen werden. Außerdem wird sie Bildungsarbeit und Beratung leisten.

„Hat die Kommission wirklich Spielraum?“, fragt sich dennoch Noel Twagiramungu, Geschäftsführer der unabhängigen „Menschenrechtsliga der Region der Großen Seen“ (LDGL), die Gruppen aus Ruanda, Burundi und dem Osten der Demokratischen Republik Kongo vereint. Die LDGL hielt Ende letzter Woche in Kigali ein Seminar zu Staatsbürgerschaftsfragen und Bürgerrechten in der Region ab. Thema war vor allem der organisierte Ausschluss gewisser Bevölkerungsgruppen von der Macht in den drei Ländern – eine Problematik, die in der Polarisierung zwischen herrschender Tutsi-Minderheit und Hutu-Mehrheit besonders in Ruanda und Burundi akut ist.

„Die Machthaber betreiben Schuldzuweisungen“, beschreibt Twagiramungu die Lage in Ruanda. „Sie haben die Tendenz, Personen als Landesfeinde zu indizieren. Aber was ist ein Landesfeind? Ist man Feind des Landes, weil man eine bestimmte Politik kritisiert – nach dem Motto: Wenn du vom Präsidenten sprichst, sprichst du vom ganzen Land?“

Dass überhaupt über diese Probleme diskutiert wird, ist dennoch ein enormer Fortschritt. In den ersten Jahren nach dem Völkermord von 1994, als Armee und Hutu-Milizen in Ruanda über 800.000 Menschen umbrachten und sich dann vor der vorrückenden RPF nach Zaire in Flüchtlingslager retteten und dort den nächsten Krieg vorbereiteten, war Kritik und offene Diskussion in Ruanda kaum möglich. Erst nach 1996, als die RPF-Armee in Zaire einmarschierte, die Hutu-Flüchtlingslager zerschlug und nebenbei noch Diktator Mobutu stürzte, wuchsen die politischen Freiräume ein wenig. Und erst seit Sommer 1998, als Ruanda erneut in Kongo-Zaire eingriff und die dort stationierten noch aktiven Hutu-Milizen erneut verdrängte, um deren andauernde Angriffe auf Ruanda zu stoppen, beginnt so etwas wie eine starke Zivilgesellschaft zu entstehen.

So ist der laufende Prozess gegen Erzbischof Augustin Misago, der als bisher höchstrangiger Kirchenvertreter wegen Beteiligung am Völkermord vor Gericht steht und dem die Todesstrafe droht, ein Forum öffentlicher Debatte. Befürworter und Gegner einer harten Bestrafung sitzen zusammen auf den Publikumsbänken des Gerichtssaals. Menschenrechtsgruppen sprechen sich plötzlich gegen die Todesstrafe aus. Die Politik der Regierung, kleine Völkermordprozesse zukünftig auf Gemeindeebene von traditionellen Gacaca-Dorfgerichten abhalten zu lassen, trägt die Problematik der Aufarbeitung des Genozids ebenfalls mitten in die Gesellschaft hinein.

Außerdem läuft eine Kampagne gegen Korruption, die entgegen aller bisherigen Traditionen von Selbstdisziplin und Askese in der RPF in den letzten Jahren erhebliche Ausmaße angenommen hat. Drei Minister werden derzeit von einer parlamentarischen Untersuchungskommission durchleuchtet. Urheber der Kampagne ist nach außen das Parlament, das nicht gewählt ist, aber alle Parteien außer der früheren Staatspartei des ehemaligen Hutu-Regimes enthält.

Insider führen sie jedoch auf RPF-Militärchef Paul Kagame zurück, Ruandas Vizepräsident und wichtigster Politiker, der seine Bewegung per Großreinemachen wieder in den Griff kriegen wolle. Der Kampf gegen die Korruption ist ein Signal für das Verschwinden von Tabus. „Erst seit 1998 kann man darüber reden“, meint LDGL-Chef Twagiramungu. „Leute, die dafür früher mit dem Tode bedroht wurden, werden jetzt ins Präsidialamt eingeladen. Es gab früher eine Gruppe von Leuten, die alles kontrollierte. Jetzt trauen sich die Leute, diese Themen anzurühren.“

Kagames Aufräumeifer hat einen einfachen Hintergrund: Irgendwann – wenngleich keiner sagen kann, wann – wird sich die RPF freien Wahlen stellen müssen. Als Tutsi-Partei kann sie die nicht gewinnen. Sie muss sich selbst an die Spitze von Reformen stellen, um zu bestehen. Aber eventuell ist dieses Manöver allzu durchsichtig.

Pünktlich zum Nationalfeiertag am 1. Oktober stellte die Regierung den Entwurf einer neuen Nationalflagge vor: grün und blau, mit einer aufgehenden Sonne. Grün steht für die Hoffnung, Blau für die RPF. Das macht keine Partei, die in Erwägung zieht, auch mal eine Wahl verlieren zu können.