Das Phänomen  ■   Momper entwickelt ungeahnte Steherqualitäten

Es klang nach politischer Leichenfledderei. In der SFB-Reihe „Berlin vor der Wahl“ sollten am Montagabend sieben hauptstädtische Chefredakteure den SPD-Spitzenkandidaten Walter Momper auseinander nehmen. Der Grund für die Sektion am politisch toten Objekt: Der Sender wolle, so ein Sprecher, die Menschen vorstellen, die Regierender Bürgermeister werden wollen. Der Amtsinhaber Eberhard Diepgen soll am Donnerstag folgen.

Aber der Kandidat, der eine volle Stunde über die Bildschirme flimmerte, zeigte sich von einer überraschend lebendigen Seite. Offenbar hat Momper während der letzten Wahlkampfphase, die er weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Unterstützung aus der Partei verbrachte, ungeahnte Qualitäten entwickelt.

Noch zu Beginn des Wahlkampfs, nach langjähriger landespolitischer Abstinenz, hatte er sich regelmäßig im Gestrüpp der Fakten verheddert, wirkte wenig engagiert und meist schlecht informiert. Jetzt haben die Nachhilfe-Veranstaltungen über die verschiedensten Politikfelder Wirkung gezeigt: Momper verstand es vor der Kamera, an geeigneten Stellen mit Detailwissen zu prahlen. Manchen der Chefredakteure, teilweise erst kurz in Berlin, konnte er an landespolitischer Kompetenz mühelos übertrumpfen.

Sogar an Mompers immer gleiche Floskeln hat sich der Zuhörer inzwischen gewöhnt. „Wirtschaft muss wieder Chefsache werden“: Dieser Satz wird uns nach dem 10. Oktober fehlen. Auch die Schwächen seiner 20-Prozent-Partei kennt der Kandidat genau. Äußert er sich zur Schulpolitik, würdigt er in wohl gesetzten Worten die Verdienste der scheidenen SPD-Schulsenatorin. Allerdings ist auch ein Rückschritt zu verzeichnen: Ein Ratgeber hat Momper eingeredet, er solle beim Sprechen jede einzelne Silbe be-to-nen.

Die Frage ist nur: Wie schafft der Mann das? Von der eigenen Partei verlassen, vom Kanzler verstoßen, für die Presse eine Witzfigur, beim Publikum verhasst – und er macht scheinbar unberührt weiter, entwirft Zukunftspläne, als werde er nach dem 10. Oktober Regierender Bürgermeister.

Walter Momper: Kein Phantom, sondern ein Phänomen. Ralph Bollmann