Es geht von Öjepünt zu Öjepünt

Nach einer langen, durchwachsenen Saison versuchen Jan Ullrich und das Team Telekom bei der Rad-WM in Italien ihren Herbst endgültig zu vergolden  ■   Von Jörg Feyer

Wenn Walter Godefroot Höhepunkt sagen will, entschlüpft seinem belgischen Mund stets etwas, das „Öjepünt“ geschrieben werden müsste. Aber es war ja auch so eine Sache mit den Höhepunkten im Team Telekom in der jetzt mit der Weltmeisterschaft zu Ende gehenden Saison. Doch, es gab sie schon – nur eben nicht da, wo Sponsor und Öffentlichkeit zu jubeln gewohnt waren.

Da war ein weithin verkorkstes Frühjahr mit Krankheit (Elli, Totschnig, Jaksche) und Stürzen (Ullrich, Riis, Aldag). Erik Zabel und Udo Bölts standen bei wichtigen Eintagesrennen auf verlorenem Posten. Es folgte ein durchwachsener Sommer mit einer langweiligen Tour de France ohne Ullrich und mit einem Zabel, der sich kämpferisch, doch glanzlos ohne Etappensieg zum vierten Mal in Folge das Grüne Trikot des besten Sprinters sicherte (der er nicht mehr war). Und der in Hamburg beim einzigen Weltcup-Rennen auf deutschem Boden wieder auf verlorenem Posten stand.

Und nun das: Ein Herbst in Gold! Jan Ullrich, der seinen „Einsturz vom Kopf her“ (Ullrich) nach Doping-Anwürfen und Tour-Aus schneller überwand, als selbst Optimisten gehofft hatten, dominierte die Konkurrenz bei der Vuelta, der Spanien-Rundfahrt, und fuhr das Goldene Trikot des Spitzenreiters bis nach Madrid. Über Doping sprach niemand mehr. Das heutige WM-Zeitfahren (ZDF, 15 Uhr) wird er auf dem Podium beenden. Alles andere wäre eine Überraschung, nachdem Ullrich die Konkurrenz im abschließenden Zeitfahren der Vuelta deklassierte. In Treviso sind Streckenprofil und Distanz ähnlich.

Der erfolgreiche Herbst für Ullrich, der sonst um diese Zeit schon urlaubt, rettet nicht nur die Saisonbilanz. Bisher ausschließlich auf die Tour fixiert, erschließt sich dem nicht so sachkundigen Publikum, das beim Stichwort „Frühjahrsklassiker“ eher an Mode denn an Kopfsteinpflaster denkt, nun vielleicht endlich, dass der Radsportkalender noch andere, mindestens ebenbürtige Rundfahrten hergibt. Und die das T auf der Brust länger als bisher gewohnt auf Werbewirksamekeits-Trab halten könnten. Doch genau da liegt auch das Problem für eine Mannschaft, die in der Breite noch nicht die Klasse von etwa Mapei hat, die von März bis Oktober bei Tagesrennen wie Rundfahrten Anwärter auf Spitzenplätze präsentieren. Was auch Walter Godefroot nur zu gut weiß (siehe Interview).

Für das Straßenrennen am Sonntag in Verona ist Ullrich allerdings nicht der alleinige Favorit. Zwar blickt Frank Vandenbroucke auf eine ähnlich turbulente Saison zurück, aber seine Zwangspause resultierte nicht aus einem Sturz: Drei Wochen nach seinem Sieg beim Weltcup-Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich wurde der 24-jährige Belgier von der französischen Polizei im Zuge von Doping-Ermittlungen festgesetzt und von seinem Team Cofidis suspendiert; später werden die Beschuldigungen gegen „das Genie“ (Tour-Sieger Lance Armstrong) als gegenstandslos verworfen.

Sein Comeback feierte Vandenbroucke ebenfalls bei der Vuelta, wo er zwei mittelschwere Etappen gewann und sich beim Finale in Madrid nicht nur Freunde im Peloton machte. Entgegen dem viel besungenen „Ehrenkodex“ attackierte er auf der Schlussetappe, um dem Spanier Igor Gonzalez Galdeano in letzter Minute doch noch das weiße Jersey des Punktbesten abspenstig zu machen. Steht der eisige Weißblonde dann auf dem Podium, muss selbst Ullrich im Vergleich wie ein gelöster Latin Lover rüberkommen.

Der Rundkurs kommt Ullrich ebenso entgegen wie Vandenbroucke. Der 3,5 Kilometer lange Anstieg zum Torricell, der gleich 16-mal bewältigt werden muss, wird das Feld schnell in Häuflein splitten und lässt Sprintern keine Chance. Marcel Wüst, gerade viermal Etappensieger in der Vuelta, fehlt deshalb ebenso im deutschen Team wie Erik Zabel, der früh in die Saison eingestiegen war und schon in Urlaub ging – vor dem „Öjepünt“ im möglicherweise ja goldenen Telekom-Herbst.