Aus dreimal keins mach eins

Klingt doch schwer nach Hauptstadt: BerlinBallett! Seit Februar 1998 wird an einem Modell gearbeitet, um den Balletts der drei Berliner Opernhäuser einen autonomen Status zu gewähren. Wird das Schiller Theater ab 2001 zum Tanzhaus?  ■   Von Katrin Bettina Müller

Drei Ballettcompagnien tanzen an den Opernhäusern Berlins. Aber keine hat je eine Ausstrahlung erreicht wie das Wuppertaler Tanztheater von Pina Bausch oder das Nederlands Dans Theater von Jiri Kylian. Das lag nicht nur an den Choreografien: Was dem Tanz an den Opernhäusern fehlt, analysierten der mit dem mangelnden Glanz höchst unzufriedene Kultursenator Peter Radunski und sein Ballettbeauftragter Gerhard Brunner, sei vor allem Unabhängigkeit vom Opernbetrieb. Denn dort mangelt es immer am Willen, den Tanz wirklich durchzusetzen.

Brunner muss es wissen, hat er doch jahrelang (1976 – 1990) als Ballettdirektor der Wiener Staatsoper mit diesem Hintanstellen der Bedürfnisse gelebt. Im Februar 1998 wurde er als Moderator des Umbaus bestellt. Seitdem reist er aus Graz, wo er noch bis August 2001 Intendant ist, zu den oft halbleeren Ballettpremieren der Opernbühnen an und zu den gutbesuchten Gastspielen, wenn das Festival „Tanz im August“ mit Martha Graham, dem Nederlands Dans Theater oder der kanandischen Hochgeschwindigkeitstruppe LaLaLa Human Steps in den Opernhäusern gastieren darf. Denn die Highlights der Tanzkultur liefern in Berlin längst andere Veranstalter.

Zuerst schien das BerlinBallett ein Phantom: Der Name klingt so nach neureicher Hauptstadt und Fernsehballett. Das Konzept, das eine Zusammenfassung der drei Compagnien unter einem neuen Dachverband vorsieht, konnte sich freilich nicht dem Verdacht entziehen, Bemäntelung eines Sparprogramms zu sein. Denn zuerst musste die Auflage erfüllt werden, die 165 Tänzerstellen auf 120 zu kürzen. Da waren die Hausherrn fix: Die Komische und die Deutsche Oper haben inzwischen ihre Ensembles auf je dreißig Tänzer verkleinert.

Die Klassik bleibt die Basis im neuen Konzept: „Wir brauchen sie für die Definition unseres Tuns“, sagt Brunner, der mit einer Hand voll historischer Stücke dem Zuschauer eine Grundausstattung des Verstehens von Tanz geben will. Den Hauptakzent setzt er auf die Entwicklung neuer choreografischer Sprachen. Dafür wurden der Engländer Richard Wherlock an die Komische Oper und Angelin Preljocaj aus Südfrankreich an die Deutsche Oper verpflichtet.

Noch nimmt das BerlinBallett erst vage Konturen an. Sein Etat soll sich aus einem Budget ergeben, das aus den Haushalten der Opern herausgerechnet wird. Und das ist sicher ein Grund für den langsamen Fahrplan. „Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat zwar die Umsetzung der Ballettreform bis 2001 in Auftrag gegeben“, weiß Brunner, „doch dem steht entgegen, dass die Verträge von Daniel Barenboim und Georg Quander an der Staatsoper bis 2002 laufen.“ Solange bleiben der Spielplan und die Personalpolitik deren Sache. Was er von ihren Entscheidungen hält, kommentiert Brunner, der sich diplomatisch künftige Kooperationen auf keinen Fall verbauen will, nicht.

Wo das BerlinBallett denn nun tanzen solle, war die meistgestellte Frage an seine Erfinder. In den Opernhäusern natürlich, lautete die Antwort, die das Vertrauen in die gut gemeinten Ansätze schnell wieder untergrub. Wer kann schon nachvollziehen, dass es nach den Sitten der Opernherren revolutionär wäre, wenn das Staatsopernballett aus dem Osten mit seinen sechzig Tänzern in der Deutschen Oper im Westen auftreten würde.

Manövriermasse im Poker um eine glaubwürdige Unabhängigkeit ist das Schiller Theater, eines der leer stehenden Häuser, die der Berliner Kulturverwaltung wie Mühlräder am Hals hängen. Wäre da nicht ein Tanzhaus denkbar, vielleicht zusammen mit den Berliner Festwochen? Brunner hat es vorgeschlagen, Radunski ist begeistert, demnächst wird ein Konzept geschrieben. Das „Tanzhaus“ könnte „Anlaufadresse“ für das BerlinBallett werden; und ließe sich da nicht eine „kleine experimentelle Gruppe unter einem vierten Chefchoreografen“ einrichten?, fragt Brunner. Noch hat die Berliner Kulturbürokratie seine Visionen nicht verschlissen, das macht wohl der Sicherheitsabstand aus Graz.

Alles wird nun auf die Handschriften der neuen Choreografen gesetzt, sie müssen die Identität des BerlinBalletts erfinden. Die erste Premiere unter dem neuen Label in der Komischen Oper war allerdings mehr auf das Haus und seine Tradition zugeschnitten, als dass man einen Geist der Befreiung gewittert hätte. Richard Wherlocks poppige Bearbeitung des romantischen Tanzreigens „La Fille mal gardée“ kann man gerade mal als vertrauensbildende Maßnahme durchgehen lassen, der Komischen Oper ihr Publikum zurückzugewinnen. Denn dort hatte die letzten vier Jahre der Ballettchef Marc Joncers wenig Glück: Im Balanceakt zwischen Tradition und Experiment, Publikum und Kritik fielen die Produktionen stets auf einer Seite durch. Aus diesem Dilemma herauszufinden, soll das BerlinBallett helfen.