Zwangsarbeiter wollen mehr als Almosen

■  Die Anwälte der Zwangsarbeiter der Nazi-Zeit kritisieren vor den heutigen Gesprächen in Washington das „endgültige“ Angebot der deutschen Seite. Vertreter der Opfer erhöhen den Druck auf deutsche Konzerne

Berlin (taz) – Unmittelbar vor den möglicherweise entscheidenden Gesprächen über eine Entschädigung von Zwangsarbeitern der Nazi-Zeit haben deren Anwälte in den USA die kompromisslose Haltung des deutschen Regierungsbeauftragten Otto Graf Lambsdorff kritisiert und einen „ernsthaften Dialog“ eingeklagt. „Solch bedeutende Fragen lassen sich nicht mit einer 'Friss oder stirb‘-Haltung klären“, sagte Richard Heideman von der jüdisch-amerikanischen Organisation B'nai B'rith. Gestern erneuerten mehrere Zwangsarbeiter und deren Anwälte auf einer Pressekonferenz in Washington ihre Forderung nach einer befriedigenden Lösung für Menschen, die „Entbehrungen, Erniedrigungen und Entmenschlichung erlitten haben“.

Lambsdorff hatte am Wochenende in mehreren Zeitungs- und Rundfunkinterviews betont, das Angebot, das er am Mittwoch zu einer zweitägigen Konferenz im State Department mitbringen werde, sei endgültig – und es bleibe vorerst geheim. Es werde „deutlich unter 10.000 Mark“ pro Person liegen. Die Washington Post berichtete gestern unter Berufung auf Anwälte der Zwangsarbeiter, die deutschen Unternehmen hätten eine Summe von 6,9 Milliarden Mark angeboten. Nur Stunden später nannte in Frankfurt Wolfgang Gibowski, der Sprecher der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, diese Zahl jedoch „falsch“.

Seit Februar verhandeln Lambsdorff, der stellvertretende US-Finanzminister Stuart Eizenstadt, Vertreter Israels und osteuropäischer Staaten, der Industrie und Verbände der Opfer über eine Entschädigung der Zwangsarbeiter. Diese hatten vor US-Bundesgerichten Sammelklagen gegen deutsche Konzerne eingereicht, wollen diese aber im Falle einer befriedigenden Lösung zurückziehen. Ungefähr zehn Millionen Menschen wurden im Zweiten Weltkrieg von Deutschland zur Arbeit in Firmen, in der Landwirtschaft und für Kommunen gezwungen. Etwa 600.000 Zwangsarbeiter und 230.000 so genannte Sklavenarbeiter haben bis heute überlebt. Jedes Jahr stirbt etwa ein Zehntel von ihnen. Volkswagen und Siemens haben an ehemalige Zwangsarbeiter jeweils 10.000 Mark gezahlt. Einem polnischen Zwangsarbeiter wurden kürzlich von einem deutschen Gericht 15.000 Mark zugesprochen. Folge man diesem Exempel, ergebe sich eine Entschädigungssumme von 20 Milliarden Mark, sagte der US-Anwalt Edward Fagan. Sein Kollege Michael Witti wies darauf hin, dass die Firmen diese Zahlungen ohnehin von der Steuer absetzen könnten.

Lesern der New York Times wird deshalb seit Montag eine ungewohnte und verstörende Seite deutscher Weltkonzerne präsentiert. In einer ganzseitigen Anzeige hieß es in großen Lettern: Mercedes-Benz: Design. Performance. Slave Labor“. Die Konzerne sollten „ihre Schulden bei denen, die sie brutal ausgebeutet haben, begleichen“. Geschaltet wurden die Inserate von B'nai B'rith und weiteren Organisationen, die sich für die Anliegen der ehemaligen Zwangsarbeiter einsetzen. In der gestrigen Ausgabe der Zeitung wurde die deutsche Niederlassung von Ford angeklagt, für heute ist eine Anzeige gegen den Bayer-Konzern geplant. Stefan Schaaf