Schöner trauern im Hochregal

■ Das Bremer Jugendtheater „B.E.S.T.“ hat im „Weserbahnhof“ wieder ein Spektakel inszeniert. Es handelt vom Abschied und ist betörend schön

Es ist dunkel. Und wüster und leerer ist es auch geworden seit dem letzten Mal. Normalerweise kommt man selten in diese Gegend gleich hinter dem Faulenquartier, in der die Straßen die Namen „Auf der Muggenburg“ oder „Stephanitorsbollwerk“ tragen. Abrissbagger und Planierraupen haben in den letzten Monaten ein paar Gebäude eingeebnet. Allein die große, beinahe riesige Lagerhalle namens Weserbahnhof steht noch. Ein an der Außenwand aufgehängtes Transparent mit der Aufschrift „B.E.S.T.“ flattert im Regen und wirbt für ein Spektakel der besonderen Art: „B.E.S.T.“ alias „Bremens erstes schulübergreifendes Theater“ hat die Lagerhalle für die nächsten Wochen in die Spielstätte für sein neues Stück „Abschnittsweisen“ verwandelt.

Der Ort passt ideal zum Thema: Wo der so genannte Strukturwandel im alten Hafengebiet einem buchstäblich ins Auge springt, beschäftigt sich die Jugendtheatergruppe um die „B.E.S.T.“-Leiter Karl-Heinz Wenzel und Jochen Schmidtmeyer in der Halle mit dem Thema Abschied. Die Scheidung der Eltern, die Trennung von Freund oder Freundin oder der Umzug von einem Land ins andere sind die nahe liegenden Motive nicht nur aus der jugendlichen Erfahrungswelt. In Übungen und Improvisationen haben die über 20 Mitwirkenden diese Erlebnisse in ein imposantes Schauspiel übersetzt.

Ein kleiner Eingang irgendwo. Dahinter einige Biergartenbänke und -tische in einem durch schwarze Folie abgehängten Teil der Halle. Im Gegensatz zu den früheren „B.E.S.T.“-Projekten in der Schwankhalle im Buntentor und in Hallen am Bahnhof oder in Hastedt ergreift Wenzel vor Beginn das Wort. Ein „ungewöhnliches Theaterstück“ kündigt er an – „Sie werden nicht alles sehen können, aber das ist im Leben auch immer so.“

Schon öffnet sich die Folie einen Spalt weit. Die rund 200 ZuschauerInnen schreiten hindurch in ein kathedralenhaftes Szenario aus einem scheinbar endlos langen Hochregal, fernem Licht und Hildegard-von-Bingen-Klängen. Als es etwas heller wird, werden auf verschiedene Etagen verteilte Miniaturbühnen in den Regalreihen sichtbar, die wiederum durch Gänge und Brücken miteinander verbunden sind.

„Abschnittsweisen“ ist kein Stück im eigentlichen Sinn. Die in Improvisationen erarbeiteten und auf den vielen Bühnen gespielten Schauspielschnipsel sind Teil einer szenischen Rauminstallation, die vom Publikum erwandert wird. In Gang 502 etwa bläst Einer Seifenblasen in die Regalschlucht, in Gang 503 spielt eine Andere mit einem Holzschwert, und von irgendwo hört man Jemanden nach Mami und Papi rufen. Musik von Arvo Pärt oder aus dem Film „Der Blick des Odysseus“ beschallt die Szene. Nur manchmal wird es leiser und focussiert sich das Licht auf einen Schauplatz im Regallabyrinth. Dann gibt ein Paar eine Miniatur aus „Medea“. Dann marschiert die Gruppe in einer Trauerprozession. Oder dann rennt der Typ, der eben noch den Zettel „Suche Freunde“ plakatierte und endlich eine Freundin gefunden hat, zum Telefon.

Die bei den Proben in Theaterszenen verwandelten ernsten Anliegen der jugendlichen DarstellerInnen gehen in dieser Inszenierung in diffusen Atmosphären und Soundtracks auf. Die Inhalte schimmern oft bloß als Ahnungen aus dem poetisch schönen Schein hervor. Alles Dramatische löst sich im Raum und der ästhetischen Form auf. Doch die ist einfach betörend. Christoph Köster

Aufführungen von heute bis zum 9. Oktober sowie vom 13. bis zum 17. Oktober um 20 Uhr in der Lagerhalle am „Weserbahnhof“. Zufahrt wegen des Schlachte-Umbaus nur über die Lloydstraße. Vorbestellungen unter Tel.: 44 54 38.