Ein afrikanisches Comic-Märchen

■  „Kiriku und die Zauberin“: Michel Ocelots Balanceakt zwischen realistischer Alltagsbeschreibung und sagenhafter Übertreibung

Ein Film über die Angst und wie sie entsteht; ein Film über die Macht des Wörtchens „Warum“

Animation ist teuer. Deshalb gibt es heutzutage fast ausschließlich Zeichentrickfilme von Disney und in letzter Zeit noch von Steven Spielbergs Produktionsfirma Dreamworks. Und: Animation braucht Zeit. Die Herstellung von „Kiriku und die Zauberin“ nahm fünf Jahre in Anspruch und hätte seine französische Produktionsfirma beinahe ruiniert. Drei Millionen musste ein TV-Sender zuletzt noch zuschießen, damit der auf einem afrikanischen Märchen beruhende Film schließlich doch noch fertiggestellt werden und in die Kinos kommen konnte. Wo er sich dann tatsächlich zum Überraschungshit des Jahres in Frankreich entwickelte.

Es ist ein Film geworden über den Aberglauben, über die Angst und wie sie entsteht, und auch über die Macht, die das Wörtchen „Warum“ einem Kind geben kann. „Warum ist die Zauberin so böse?“, fragt Kiriku immer wieder, bis er schließlich die richtigen Antworten bekommt. Vorlaut war er schon vor seiner Geburt: „Bring mich zur Welt!“, tönt es aus dem Mutterbauch – die erste Äußerung Kirikus, der erste Satz des Films.

Ein Anliegen war es auch, so sagt Regisseur und Drehbuchautor Michel Ocelot, „Afrika zu porträtieren“, was nie zuvor im Zeichentrickfilm geschehen ist, nicht im „Dschungelbuch“ und schon gar nicht in „König der Löwen“. So gesehen ist „Kiriku“ authentisch: Wundert sich doch einer der kleineren Zuschauer bei der Pressevorführung: „Die Frauen laufen ja alle oben ohne rum.“ Nebenaspekte sind: Wasser als Lebensnotwendigkeit, Entstehung von Ausgrenzung, Mechanismen in menschlichen Gemeinschaften.

So übt sich Ocelot im steten Wechsel zwischen realistischen Beschreibungen des Alltags des afrikanischen Dorfes und märchenhaften Elementen und Übertreibungen. Kiriku ist nicht nur ein Kleinkind, er ist selbst für ein Baby zu klein, ein Holzlöffel reicht ihm als Hut, aber seine Winzigkeit nutzt er als Vorteil. Manches allerdings ist arg drastisch geraten für die Kinderseele: Hier sind Ungeheuer richtig grässlich, und der Ausflug in unterirdische Höhlen wirklich gruselig.

Für die Musik wurde Youssou N'Dour engagiert. Aber ausgerechnet die wenigen Songs sind – jedenfalls in der deutschen Fassung – eher einfallslos geraten. Wunderschön geriet allerdings die zeichnerische Umsetzung: Zwar ist man meilenweit vom aktuellen technischen Stand der Animation entfernt, wo Computer bisher unvorstellbaren Detailreichtum errechnen und nahezu perfekt drei Dimensionen suggerieren können. Doch in „Kiriku und die Zauberin“ wird mit Fantasie und Anmut dagegengehalten und mit Tableaus in solch leuchtenden Farben, dass sie des öfteren an Paul Gauguin erinnern. Die Fetische, die willenlosen Sklaven der Zauberin, sind inspiriert von afrikanischen Skulpturen, gleichen allerdings auch – wahrscheinlich nicht ganz unabsichtlich – durchaus modernen Robotern.

Mit „Kiriku“ wird der Zeichentrickfilm sicherlich nicht neu erfunden, aber doch zumindest recht erfolgreich ein Gegengewicht zur US-amerikanischen Dominanz im Genre etabliert. Das wird versucht, indem man eben gerade nicht auf Action, wahnwitzige Rechnerleistungen und modern designte Figuren und Charaktere setzt. In Frankreich hat das funktioniert, warum nicht auch hier. Thomas Winkler

„Kiriku und die Zauberin“. Regie, Drehbuch und Design: Michel Ocelot. Dt. Sprecher: Harald Leipnitz, Mo Asumang, Gabriel Wanka, Claudia Urbschat-Mingues u. a. Frankreich 1998, 74 Min.