Im Kampf um die Macht begeben sich Indonesiens Erzrivalen auf Schmusekurs

■ Die Parteien bereiten sich auf die Wahl des Präsidenten in zwei Wochen vor. Das Militär hält sich bisher auffallend zurück

Bankok (taz) – Eine einsame Top-Kandidatin, ein bedrängter Amtsinhaber, schmusende Erzrivalen, schweigende Militärs: Indonesiens politische Landschaft steckt in diesen Tagen voller Unwägbarkeiten. Am 20. Oktober wählt die „Beratende Volksversammlung“, das höchste politische Gremium des Landes, das nächste Staats- und Regierungsoberhaupt.

Doch niemand wagt vorauszusagen, wer nächster Präsident des 200-Millionen-Einwohner-Staates werden wird: Kann Megawati Sukarnoputri es schaffen, die Siegerin der ersten demokratischen Parlamentswahlen vom Juni? Hat ihr stärkster Konkurrent, der – nach schweren Korruptionsskandalen und der Osttimor-Tragödie heftig angefeindete – Amtsinhaber B.J. Habibie noch eine Chance? Oder sollte gar der unberechenbare Muslimpolitiker Abdurrahman Wahid als lachender Dritter aus dem Kampf hervorgehen?

Keine der großen Parteien hat genug Abgeordnete, um allein zu regieren. Die Hoffnung der Tochter des Staatsgründers Sukarno, Megawati, und ihrer „Demokratischen Partei Indonesiens – Kampf“, dass sich ihre Popularität auf der Straße automatisch in politische Macht verwandeln würde, erhielt in den letzten Tagen einen schweren Dämpfer: Gestern wurde ein Rivale, der langjährige Chef der Golkar-Partei Tanjung, zum Parlamentssprecher gewählt. Die wichtige 700-köpfige Volksversammlung wählte am Wochenende ebenfalls nicht Megawatis Kandidaten zum Sprecher. Grund: Sie hatte nur halbherzig bei anderen politischen Gruppen um Unterstützung gebuhlt. Den Sprecherjob gewann der energische Politologe und Muslimpolitiker Amien Rais. Er konnte auf die regierende Golkar-Partei und eine Parteienkoalition bauen, die nur eines verbindet: die Präsidentschaft Megawatis zu verhindern.

Zäh hat Rais, dessen „Nationale Mandatspartei“ bei den Parlamentswahlen im Juni mit 7,3 Prozent nur an fünfter Stelle landete, in den letzten Wochen alte Feindschaften begraben und neue Allianzen geknüpft. Er unterstützt die Präsidentschaftskandidatur seines langjährigen Rivalen Wahid, Chef der muslimischen „Gemeinschaft der Religionslehrer“. Präsident Habibie, dritter Bewerber um die Präsidentschaft, scheint mittlerweile schlechte Karten zu haben. Seine Golkar-Partei steht nicht einig hinter ihm.

Dies alles zeigt, wie dramatisch die Veränderungen sind, die Indonesien seit dem Rücktritt Suhartos im Frühjahr 1998 erlebt: Zum ersten Mal wurde ein Bewerber für ein öffentliches Amt in geheimer Abstimmung und gegen mehrere Konkurrenten bestimmt. Unter Suharto diente die Volksversammlung, in der neben den Parlamentsabgeordneten noch 200 Delegierte der Regionen und sozialer Gruppen vertreten sind, nur als demokratisches Feigenblatt der Diktatur.

Das soll sich nun ändern: Die Volksversammlung muss in den nächsten Tagen viele für den Übergang Indonesiens zur Demokratie wichtige Entscheidungen treffen. Rais will sich dafür einsetzen, die Verfassung von 1945 zu ergänzen, um den Einfluss des Präsidenten im indonesischen Regierungssystem stärker zu begrenzen.

Rais gehört zu jenen Reformern, die den politischen Einfluss des Militärs beschränken wollen und sich für ein föderales System in dem riesigen indonesischen Inselreich aussprechen, das unter Suharto streng zentralistisch und mit scharfer Militärgewalt regiert wurde.

Doch gegen die Armee, die über eine eigene Fraktion im Parlament verfügt, wird niemand die Regierung bilden können. Armeechef General Wiranto ist ehrgeizig. Alles weist darauf hin, dass er zum Vizepräsidenten gewählt werden will. Sowohl Megawati als auch Habibie wollen ihn zum Stellvertreter machen – obwohl es in der indonesischen Öffentlichkeit heftige Vorbehalte gegenüber dem Militär gibt. Je schwächer die politischen Kandidaten sich jedoch fühlen, desto größer werden die Versprechungen über die künftige Rolle der Armee. Bislang hält General Wiranto sich noch bedeckt.

Jutta Lietsch