Disko-Trubel auf dem Friedhof

■ In der früheren Gerberei des Konzentrationslagers Auschwitz soll eine Diskothek entstehen. Für Ärger sorgt der drohende Lärm

Warschau (taz) – Mit Kir Royal, Bourbon und Brandy sollen sich hier bald gut betuchte Manager und Unternehmer zuprosten, Schampus soll in Strömen fließen und eine Tür weiter werden stampfende Rhythmen und Laserwerfer für Stimmung sorgen. In der ehemaligen Gerberei von Auschwitz sollen eine Diskothek und ein Nightclub entstehen. Ehemalige Häftlinge sind entsetzt.

In den rund einen Kilometer vom Stammlager Auschwitz entfernten Werkstätten hatten während des Krieges knapp 1.000 Zwangsarbeiter Tierhäute gegerbt, Kleidung für die SS genäht, die Strümpfe und Haare der ermordeten Juden sortiert. Die Häftlinge arbeiteten im Akkord, jedes unangenehme Auffallen konnte mit dem Tod in den Kloakengruben oder in den Chemikalienfässern enden. Vor über 50 Jahren wurden in der Gerberei von Auschwitz Menschen ertränkt.

Doch der Protest gegen die Diskothek und den Nightclub greift nicht die moralische Unsäglichkeit des „Tanzes auf dem Friedhof“ auf. Vielmehr wirft die „Stiftung Internationales Jugendbegegnungszentrum in Auschwitz“ den Investoren vor, das Baurecht verletzt zu haben. Zwar hatte die Firma Art-Mix die Genehmigung der Kreisverwaltung von Oswiecim (Auschwitz) für den Umbau des leer stehenden Gebäudes in eine Diskothek erhalten, doch hätte sie vor Baubeginn eine zweiwöchige Frist abwarten müssen, in der die Bewohner der Stadt, insbesondere aber die direkten Nachbarn der künftigen Diskothek Protest beim Woiwoden einlegen können. Direkter Nachbar ist die Jugendbegegnungsstätte in Oswiecim.

Christian Heubner, der Vorsitzende der paritätisch deutsch-polnisch besetzten Stiftung, legte sofort Protest ein: „Wir müssen uns an das Recht halten“, erklärte er in einem Gespräch mit der taz. „Die Diskothek ist fast fertig. Die Bauarbeiten sind weit fortgeschritten. Die Investoren hätten aber unsere Reaktionen abwarten müssen.“ Dieser Argumentation hat sich auch der Woiwode von Kleinpolen angeschlossen und die Genehmigung für den Umbau des Gebäudes zurückgezogen. Die Bauarbeiten sind zunächst gestoppt.

„Die Diskothek schränkt unsere Arbeitsmöglichkeiten ein“, sagt Heubner. „Diskotheken bringen Lärm mit sich, an- und abfahrende Autos, man muss mit Vandalismus rechnen, mit Drogenabhängigen, mit Betrunkenen. Wir sind eine gemeinnützige Organisation. Mit den Übernachtungen finanzieren wir unsere Seminare zum Holocaust und zum Zweiten Weltkrieg.“ Heubner fürchtet, dass eine Diskothek und ein Nightclub in unmittelbarer Nähe des Begegnungszentrums Gäste abschrecken könnten, die sich über einige Tage hinweg intensiv mit Auschwitz beschäftigen wollen. „Wir brauchen an diesem Ort Ruhe.“

Die Gerberei von Auschwitz liegt außerhalb der 300 Meter breiten Schutzzone rund um das ehemalige KZ. Adam Bilski, der Vorsitzende der Kreisverwaltung von Oswiecim, ist über die Proteste gegen die Genehmigung der Diskothek erstaunt. Er sieht sich im Recht. Vor Journalisten sagt er: „Die KZ-Häftlinge starben überall in der Stadt Oswiecim. Wenn das als Argument gilt, hat am Ende niemand mehr das Recht, hier zu leben, zu wohnen und zu arbeiten.“ Heubner kann sich vorstellen, dass ein Handwerksbetrieb in der ehemaligen Gerberei die Arbeit aufnimmt. Gabriele Lesser