Ein Spiel mit Linksdrall

■ Der Winterhuder Heiko Seyffarth ist der Star in seiner Sportart. Am Wochenende will er seinen Masters im Tischeishockey verteidigen

Es gibt keinen Titel, den Heiko Seyffarth in seiner sportlichen Laufbahn nicht abgeräumt hat. Der 34jährige ist amtierender Weltmeister, Hamburger Champ, war schon mehrmals Sieger im Masters und führt die aktuelle Weltrangliste mit 928,79 Punkten an. "Ich bin quasi alles", ulkt der Lehramtstudent. Dennoch kennt ihn keiner. Sein Handicap: Er spielt nicht Golf oder Tennis, sondern Tischeishockey.

Zu der Zeit, als die Jugend zur Musik von Abba, Smokie und den Bay City Rollers in Ekstase fiel und langmähnige Fußballballstars wie Netzer, Overath und Breitner auf dem grünen Rasen den Ton angaben, schnippten die Münchner Buben Peter und Stefan Geldmünzen auf einem Serviertablett. Das Spielermaterial bestand aus Legosteinen und Fünf- und Einpfennnigstücken. Die Mußestunde der beiden Geschwister war die Stunde Null im Tischeishockey. "Das Tablett war oval wie ein Eishockeyfeld und die Griffe sahen aus wie Tore", erinnert sich Peter Linden.

Der heute 40-jährige Journalist, der das Spiel für flinke Finger vor knapp einem Vierteljahrhundert ersonnen hat, professionalisierte sein geistiges Produkt in den Folgejahren. Der Spielefreak klügelte für das "Konzentrationsspiel mit Billard- und Schachelementen" ein umfassendes Regelwerk aus, veranstaltete Turniere, besorgte Sponsoren und zimmerte knapp 1300 zu Spielfeldern umfunktionierte Sperrholzplatten in seiner Garage zusammen. "Mittlerweile sägt ein Tischler die Platten mit einem Durchmesser von 50 Zentimeter zurecht", weiß Heiko Seyffarth. Auch der Edding-Stift hat ausgedient. "Das Spielfeld wird heute maschinell bedruckt und die Banden werden aus feinen Plastikstreifen gefertigt."

Und wie geht der Puck ab? Beide Mannschaften, erzählt Seyffarth, bestehen aus jeweils fünf einheitlich bemalten Fünf-Pfennig-Münzen. Diese müssen mit einem Legostein gegen den Puck - eine gelbe Metallscheibe von der Größe eines Ein-Pfennig-Stücks Richtung Tor geschnippt werden. Ein Spiel dauert zwei mal zehn Minuten. "Neben Übersicht und Geschicklichkeit entscheiden gute Nerven über Sieg oder Niederlage", sagt der Hobby-Handballer. Der Mann muss das Erfolgsgeheimnis kennen, schließlich wurde er seit 1997 dreimal Weltmeister. Und das trotz oft "zitternder Hände", wie der Champ freimütig gesteht.

Das skurrile Geschicklichkeitsspiel, das zunächst in linken Wohngemeinschaften, später vor allem in Kneipen Karriere gemacht hat, zieht weltweit 15.000 Menschen in seinen Bann. 200 Aktive aus 20 Nationen nehmen regelmäßig an Wettkämpfen teil, internationale Turniere werden seit 1979 veranstaltet.

Als Erfinder Peter Linden vor Jahren schlappe 100.000 Mark von einem Spieleverlag für die Abtretung der Rechte an dem Schnippspiel geboten bekam, winkte er ab: "Wenn wir das Spiel abgegeben hätten, wäre Tischeishockey zerstört worden." Die totale Kommerzialisierung seines Sports lehnt das ehemalige Mitglied einer linken Studentengruppe konsequent ab – auch eine Form der Kapitalismus-Kritik.

Prominenteste Protagonisten des coolen Sports mit der Kupfermünze sind Jürgen Rollmann, ehemals Torhüter in der Fußball-Bundesliga, und die Hamburger Grüne Kordula Leites. Die Partei-Sprecherin der GAL darf sich sogar mit dem inoffiziellen Titel "Weltmeisterin" schmücken. Bei der WM im August im norwegischen Geilo wurde die studierte Sportwissenschaftlerin als bes-te Frau Vierte und rückte auf den neunten Platz der Weltrangliste vor. Wie kommt eine Politikerin zum Kneipensport? "Ganz einfach", erzählt Leites, "Leute im Studium haben mich zum Tischeishockey gebracht."

In Kellern, Garagen, Kneipen und auf WG-Küchentischen erfreut der Sport der schnippenden Strategen sich eines veritablen Nischen-Daseins. Auch um den Nachwuchs müssen sich die verschworenen Nerds keine Sorgen machen. "Kinder haben das schnell raus", sagt Seyffarth-Freundin Ulrike Schulte. Die angehende Lehrerin hat das Spiel mehrfach im Kinderzeltlager getestet. Offensichtlich mit Erfolg: "Die haben das sogar noch im Dunkeln gespielt." Volker Stahl

Die acht weltbesten Spieler spielen morgen, 18 Uhr, Café Alt-Neuhaus in Neuhaus an der Oste das Masters-Turnier aus