Ein Grab mit Blumen

Wildnis im Kopf: Franz Doblers Country-Buch „Auf des toten Mannes Kiste“  ■ Von René Martens

Als die Edition Nautilus Mitte September in der literaturWERKstatt in Berlin-Niederschönhausen ihr 25. Jubiläum feierte, war es dem Autor, Compilation-Herausgeber und DJ Frank Dobler vorbehalten, für das Unterhaltungsprogramm zu sorgen. Er las aus Texten über Country-Musik, und hinterher legte er Platten auf, über die er vorher gesprochen hatte.

Warum, mal ganz plunp gefragt, feiert ein linker Verlag eigentlich mit solcher Musik? Tatsächlich passt Country gut zum Selbstverständnis des Kollektivs aus Bergedorf, weil es sich seit jeher Themen und Sichtweisen widmet, die zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung gerade nicht nahe liegend erscheinen. Und genau in diese Kategorie gehört Auf des toten Mannes Kiste, das Buch, aus dem die auf der Party vorgetragenen Texte stammen.

Franz Dobler schreibt hier einerseits gegen den Strom, denn Country verspricht kaum hip zu werden in nächster Zeit; von einem Mini-Boom konnte zuletzt Anfang der 90er Jahre die Rede sein, als, bedingt durch die Neofolk-Welle, zumindest im Einzugsgebiet von Spex kurzzeitig das Interesse an countryeskem Zeug aufflammte. Die Frage, ob Country tot ist oder auch nur komisch riecht, hält Dobler für kaum relevant. „Falls diese Musik tot ist, dann ist es ein Grab, aus dessen Erde Blumen wachsen“, schreibt er. Außerdem sei Country ein „Genre, in dem es eher um Erlebnisse in der Welt dort draußen, um den Weltschmerz hier drinnen (...) geht als um musikalische Innovation.“

Andererseits passt dieses Buch gut in die Zeit, weil das Interesse an Roots-Musik verschiedener Art und auch an Sound-Geschichtsforschung gewachsen ist – sowohl bei Liebhabern, deren Wissensdurst nie zu stillen ist, als auch bei den Trüffelschweinen der Tonträger-Industrie, die in der Vergangenheit nach zukunftstrend-kompatiblen Elementen suchen.

Auf des toten Mannes Kiste ist nicht nur ein Buch für Mikro-Szenen und Tribes. Auch wer weniger als zehn Country-Platten besitzt und nicht die Absicht hat, diesen Teil der Sammlung aufzustocken, wird angesteckt von Doblers unverhohlener Begeisterung, ja Liebe für Country und seine Helden. Und es kann ja auch nicht schaden zu wissen, dass es in den 30er Jahren Texte von Hillibilly-Musikern gab, die, sagen wir mal, mindestens so sexuell explizit waren wie die von Ol' Dirty Bastard heute.

Wie in den meisten guten Kolumnen ist der Hauptgegenstand auch bei Dobler oft der Ausgangspunkt für Abschweifungen im besten Sinne. Von Country aus schreibt er sich die Weg frei, um einen Krimi schreibenden Vietnam-Veteran wie James Lee Burke zu würdigen, das Genre Italo-Western zu verteidigen oder Peter Handkes Forderung nach „Gerechtigkeit für Serbien“ aufzugreifen. Oder Gedanken über die Hamburger Band Fink münden in einer Lebensweisheit, die mit Country oder dieser Gruppe womöglich gar nicht viel zu tun hat: „Das Problem ist weniger, keine Arbeit und kein Geld zu haben, sondern bei der Lösung des Problems nicht unter die Hufe zu kommen.“

In der bewegendsten Passage des Buchs schreibt Dobler („his is the voice in the wilderness of your head“), über die „Wildnis“ im Kopf seines von Morphium betäubten und im Sterben liegenden Vaters.

Darüberhinaus betont der Autor, dass Country keine abgeschlossene Welt innerhalb der Musik ist. Dafür stehen zum Beispiel der Name des in verschiedenen Underground- und Avantgarde-Kreisen aktiven Gitarristen Eugene Chadbourne, der hier mit einem spöttischen Gastbeitrag über das Country-Mekka Nashville vertreten ist, sowie ein Zitat Andreas Neumeisters über den Western-Swing-Geiger Bob Wills (1905-1975): „Von Bob Wills zu Jeff Mills führt ein schmaler Pfad, den wir so unpassierbar auch wieder nicht finden.“

Franz Dobler: „Auf des toten Mannes Kiste“, Edition Nautilus, Hamburg 1999, 160 Seiten, 26 Mark