Bloß keine Faxen mit Mutti

Sabrina Setlur ist Deutschlands erfolgreichste Rapperin. Keiner will ihr Böses. Was hat diese Frau für ein Problem?  ■   Von Daniel Bax

In ihrem Hotelzimmer kauert Sabrina Setlur auf dem Sofa und guckt Cartoons. Leicht gelangweilt schaut sie in die Glotze und schaltet sie dann aus, um das Gespräch zu beginnen. Es ist der Tag der großen ZDF-Gala für die Erdbebenopfer in der Türkei, und Sabrina Setlur ist dabei. Tatsächlich war sie auch beim Erdbeben dabei, unfreiwilligerweise. Auf Einladung türkischer Freunde weilte sie gerade in Istanbul, als nachts plötzlich die Erde bebte und mancherorts keinen Stein auf dem anderen ließ. Sabrina Setlur kam mit dem Schrecken davon, die Familie ihrer Gastgeber zum Glück auch.

Aber ihre Zeugenschaft ist natürlich nicht der Grund, weswegen Sabrina Setlur zum öffentlich-rechtlichen Fernsehbenefiz geladen wurde, man will sie als erfolgreichste Rapperin Deutschlands. Seit sie sich als Solistin aus dem Schatten ihrer Rödelheim-Hartreim-Partner bewegt hat und vor zwei Jahren mit dem Song „Du liebst mich nicht“ den bis dahin größten Hit für sich und ihre Plattenfirma 3 p landete, hat sie alle ihre Konkurrentinnen auf die Plätze verwiesen.

Viele waren es ohnehin nicht im HipHop-Männerclub, und seit sich Tic Tac Toe durch ihren Streit selbst erledigt haben, steht sie mehr oder weniger allein auf weiter Flur, glanzvoller denn je. Die Leser der Bild-Zeitung kürten sie sogar zu „Deutschlands erotischster Frau“, was immer das auf der nach unten offenen Naddel-und-Verona-Feldbusch-Skala heißen mag.

Dabei gibt sich Sabrina Setlur eigentlich eher verschlossen und defensiv. Ihr neues Album, das dieser Tage erscheint, deutet den Versuch eines Imagewechsels an, endgültig weg vom Straßengeruch der kleinen, drahtigen Schwester S im sportiven Kapuzenpulli, hin zur mondänen Luxus-Lady. Das aufwändige Booklet zu ihrer Platte zeigt eine elegant gestylte Sabrina Setlur in verträumter Pose, auf diversen Hochglanzbildern wie für die Fotostrecke eines Frauenmagazins porträtiert. Das ist zwar voll Cosmopolitan-kompatibel, aber wenn es irgendwie erotisch sein soll, dann hat es bestenfalls die keimfreie Erotik von Damenbindenwerbung.

Weniger keimfrei sind dagegen, wie gewohnt, die Songtexte. „Ihr seid Schlampen wie bei Tutti Frutti“, belehrt sie gleich im ersten Stück „Setlur 2000“ ihre potenziellen Gegenspielerinnen und rät: „Macht keine Faxen mit Mutti.“ Dieser Empfehlung wird im weiteren Verlauf drastisch Nachdruck verliehen, indem wiederholt allen „Fotzen“ beschieden wird, „die Futt zu halten“, ansonsten sei auf sie geschissen – unverstellte Gossenlyrik, die jeden Gymnasiallehrer das Grauen lehren dürfte. Weil die wütenden Attacken so völlig ironiefrei daherkommen, wird es manchmal unfreiwillig komisch oder auch schlicht geschmacklos: „Ich bin wie ne Alte mit Aids, mit mir zu ficken ist en Fehler.“

Sabrina Setlur findet dieses Vokabular nicht ungewöhnlich, jedenfalls für Frankfurter Verhältnisse: „Bei uns ist das ne ganz normale Sprache, so redet jeder“, meint sie und argumentiert weiter: „Ich habe mit so vielen Menschen gesprochen, aus München, aus Hamburg, aus Berlin – deren Sprachen verstehe ich auch nicht immer.“

Ja, klar. Allerdings meint man, hinter manchen besonders abgeschmackten Zeilen die Handschrift ihres Produzenten und Koautors Moses Pelham zu erkennen. Dessen letztes Solowerk „Geteiltes Leid“, ebenfalls randvoll von größenwahnsinnigen Weltschmerzfantasien, stand erklärtermaßen Pate für Sabrina Setlur. Der verbale Amoklauf korrespondiert mit einer larmoyanten Verteidigungshaltung. Auf ihrer neuen Platte stilisiert sich Sabrina Setlur mehr denn je zur Schmerzensfrau des deutschen HipHop, die sich ihren Leidensdruck von der Seele rappt. „Lieder gegen Schmerz“ heißt einer der zentralen Songs, und aggressives Selbstmitleid ist die Grundstimmung. Neben sentimentalen Liebesliedern kommt es immer wieder zur Generalabrechnung mit der ganzen Welt.

Sabrina Setlur schiebt das auch auf ihre Arbeitsweise: „Wenn ich gute Laune habe, dann tue ich alles andere als mich hinzusetzen und zu schreiben. Aber wenn ich eh mies drauf bin, dann setz ich mich hin zu Hause und schreibe das auf.“

Ein guter Grund für schlechte Stimmung im Hause Setlur sind dabei stets „die Medien“, von denen man sich in Rödelheim prinzipiell schlecht behandelt fühlt. Sabrina Setlur widmet dem Thema gleich ein ganzes Stück. In dem Song „Wer bist du (zu bewerten, was ich tu)“ heißt es :„Bist du erst auf Viva, bist du der Masse ausgeliefert“, und die Sängerin fürchtet: „Die meisten sähen mich gerne am Boden liegen.“

Ein Fall von Verfolgungswahn? Paranoia à la Puff Daddy? Sabrina Setlur mag zwar gegenwärtig konkurrenzlos sein, aber sie ist überzeugt davon, dass ihr viele den Erfolg nicht gönnen. „Ich empfinde es so, dass da draußen Menschen sind, die mir Böses tun oder die mir Schmerz bereiten wollen. Das ist ein Gefühl, das ich in mir drin habe, und das lasse ich raus“, erklärt sie. „Rap schreiben ist für mich Selbsttherapie. Ich lasse meinem Frust, meinem Schmerz oder meiner Freude freien Lauf, und ich mache das mit Hilfe von Musik. Und das ist alles gut.“ Sagt sie und lächelt.

Dabei macht sie einen ganz sympathischen Eindruck, auch wenn ihre kühle Zurückhaltung gerne arrogant wirkt. Und irgendwie will der persönliche Augenschein nicht so recht zur dargebotenen Medienfolie des bösen Mädchens passen, wie ja auch das von der 3 p-Posse verbreitete Rödelheim-Bild wenig mit der Realität zu tun hat. „Rödelheim ist ein ganz normaler Stadtteil, fast schon wie ein Dorf. Da sind auch keine brennenden Mülltonnen, keine Hochhäuser, gar nichts“, grinst Sabrina Setlur.

Und was ist Rödelheim dann? „Rödelheim ist meine Vergangenheit. Wenn ich an Rödelheim denke, dann denke ich an unsere endlosen Nächte an der Nidda, einem Flüsschen, an dem wir oft abgehangen, gelabert und gesoffen haben.“

So friedlich war es damals in Frankfurt, als sich die Clique um Moses Pelham und Thomas Hofmann formierte, die sich vom Basketball kannten. Später hakte man sich Thomas' Klassennachbarin Sabrina unter, schließlich stießen Xavier Naidoo und all die anderen dazu.

Heute ist Rödelheim das Synonym für das Mini-Imperium des Moses Pelham, der aus seinem erweiterten Freundeskreis eine Rap-Schule aufgebaut hat, die sich vom übrigen deutschen HipHop-Mainstream, eher eine Mittelklasseveranstaltung, durch ihre proletarisch-rauhe Tonart abhebt.

Kann sein, dass beim Transfer des HipHop-Modells über den Großen Teich etwas Grundlegendes schief gegangen ist, dass es hier zu Lande nur als Karikatur funktioniert. Aber der Erfolg erübrigt ja bekanntlich jede Diskussion.

Sabrina Setlur: „Aus der Sicht und mit den Worten von ...“ (3 p/Epic)

Hinweise:Imagewechsel komplett vollzogen: Von der drahtigen Schwester S hin zur mondänen Luxus-LadyUnd trotzdem stilisiert sich Sabrina Setlur in ihren Raps zur Schmerzensfrau des deutschen HipHop