Straffreies „Töten“?

„Euthanasie“ und Hilfe bei der Selbsttötung bleiben nach dem niederländischen Strafgesetzbuch auch künftig „im Prinzip“ strafbar. Allerdings bleibt ein Arzt strafrechtlich unbelangt, wenn bestimmte Sorgfaltskriterien erfüllt sind.

Die im geplanten Gesetz festgelegten sechs Kriterien, die zur Überprüfung des ärztlichen Anspruchs auf Strafausschließung herangezogen werden, lauten: Der Patient muss den Arzt „freiwillig, nach reiflicher Überlegung und wiederholt“ um Sterbehilfe gebeten haben; der Zustand des Patienten muss nach herrschender medizinischer Auffassung „aussichtslos, sein Leiden unerträglich“ gewesen sein; der Arzt muss seinen Patienten gut informiert haben; eine „andere akzeptable Lösung“, wie etwa eine Schmerztherapie, muss aussichtslos gewesen sein; der behandelnde Arzt muss mindestens einen unabhängigen Kollegen hinzugezogen haben; und schließlich muss der Arzt die lebensbeendende Handlung „mit größter medizinischer Sorgfalt“ durchgeführt haben. Schriftliche „Euthanasieerklärungen“ sollen dem umstrittenen Gesetzentwurf nach rechtskräftig sein, wenn sie im Alter von zwölf Jahren oder später unterschrieben wurden.

Seit November 1998 prüfen Regionale Kontrollkommissionen für Sterbehilfe das Handeln der Ärzte anhand der Sorgfaltskriterien. Sie setzen sich zusammen aus einem Juristen, einem Mediziner und einem Ethiker. Erst wenn diese zu dem Ergebnis kommt, dass ein Arzt nicht sorgfältig gehandelt hat, schaltet sich die Staatsanwaltschaft ein.

In Holland hat sich einer Studie zufolge gezeigt, dass sich die Praxis der Sterbehilfe nicht in einer Grauzone vollzieht, sondern dass Offenheit sorgfältiges Handeln geradezu fördert: Zwischen 1990 (2.300 Fälle bei 8.900 Ersuchen) und 1995 (3.600 Fälle bei 9.700 Ersuchen) ist die (geschätzte!) Zahl der Sterbehilfefälle in Holland nicht überproportional gestiegen. Dagegen hat sich die Zahl der Meldungen von Fällen, in denen Sterbehilfe geleistet wurde, von 486 auf 1.466 verdreifacht. 1995 gingen 2,4 Prozent aller Todesfälle in Holland auf eine tödliche Injektion oder einen Becher mit einer Giftmischung zurück. Henk Raijer