H.G. Hollein

Die Stadt, in der ich lebe, muss sich in letzter Zeit in eine daseinsfeindliche Wüstenei verwandelt haben. Zumindest für junge Frauen. Wie anders ließe sich erklären, daß ein signifikanter Anteil dieser Spezies sich offensichtlich außer Stande sieht, den urbanen Alltag ohne das ständige Mitführen einer ausreichenden Menge Trinkwassers zu überleben? Die Plastikwasserflasche ist das scheint's unverzichtbare Accessoire der Saison. Sie ragt auf Radlerinnenrü-cken aus Rucksäcken oder lugt in U-Bahnen in kecker Schieflage aus lässig abgelegten Lederbeuteln. Und nicht etwa die dezenten 0,5-Liter-Variante. Eine anderthalb Liter Magnum muss es schon sein. Beunruhigend dünkt mich, dass die Einsicht in die Notwendigkeit einer permanenten Flüssigkeitsvorhaltung bisher allein Frauen gegeben zu sein scheint. Männer präferieren im Straßenbild immer noch die Büchse Holsten oder begnügen sich bürointern mit der traditionellen Tasse Kaffee. Sollte es sie also doch geben, die erdmütterliche Intuition, die von einer kommenden Dürre weiß oder zumindest von einem bevorstehenden Zusammenbruch der Getränke-Industrie? Getrunken wird unbedingt und immer aus der Flasche, die ob ihrer Größe anbetungshaft-beidhändig zu stemmen ist. Offenbar ein weiteres Indiz für die Einübung kultischer Verzehrituale. Nach meinen Beobachtungen beträgt das durchschnittliche Fassungsvermögen der Bäuche meiner weibliche Umgebung etwa einen Liter. Der restliche Flascheninhalt muß scheinbar zwingend als eine Art Opfergabe in Teeküchen und auf Schreibtischen zurückgelassen werden. Rituell unumgänglich scheint auch die Auswahl der Wassersorte. „Still“ muß es sein, das lebenspendene Nass, um in ausreichender Menge konsumiert werden zu können. Wie auch immer: Es ist beruhigend, daß kohlensäurebedingtes Rülpsen wohl nicht das akustisch-mystische Überlebenssignal im Dschungel unserer Städte sein wird.