Der Domchor ließ Beethovens C-Dur-Messe erstrahlen

In der Bibel finden sich Metaphern von einer Gewalt, wie man sie sonst nur in Barocksonetten findet . Etwa jener Vergleich des Gottsuchers mit einem ausgedörrten Hirsch, der gierig nach frischem Wasser schreit. Doch wo der Text vom „Schreien“ spricht, lässt Mendelssohn in seinem Psalm 42 die Musik eher kontemplativ schreiten. Und Stephan Tetzlaff, der in Vertretung von Wolfgang Helbich Domchor und Neubrandenburger Philharmonie dirigierte, verlockte seine Truppe dabei zu sanftem, inniglichem Wiegen: Wie auch immer die Musik voranschreitet, der sanfte Grundpuls bleibt. Schon Mendelssohns zweiter Gott, J.S.Bach, stattete die Zustände tiefster Verzweiflung und Zerrüttung oft mit verführerischer, einschmeichelnder Anmut aus. Und genau dort, wo der Text in Spannung zur Musik steht, wo leise gejubelt wird oder Zerknirschung wohlig klingt, erhält die abendländische Sakralmusik ihre magischsten Momente.

Dieser Kunst, Subtexte zum Erklingen zu bringen, frönt auch die Missa Solemnis. Beethovens Messe in C jedoch eher wenig. Vieles wirkt berechenbar. Etwa wenn das „Benedictus“ zunächst privatistisch in die Kehlen der Solisten gelegt wird, anschließend durch den Chor zur öffentlichen Angelegenheit wird, um am Ende wieder zart, klein und sanft zu werden. Das ist bei aller Schönheit ein bisschen Kunsthandwerk. Oder wenn das „Erbarme dich unser“ im Gloria schulbuchgerecht zwischen demütiger Elegie und zischendem Schmerz pendelt. Ergreifende Bewegungen kennt aber auch die C-Dur-Messe. Bei der Textzeile „Ich glaube an den einen Gott“ schießt die Musik innerhalb weniger Takte von der Intimität des Ich zur statuarischen Gewalt Gottes hoch. Und da, aber auch sonst beweist der Bremer Mammutchor eine beachtliche dynamische Beweglichkeit. Manchmal geht sein Gestalten sogar über bloßes Laut und Leise hi-naus. Etwa wenn die abstruse Textzeile „Gott von Gott, Licht vom Lichte“ in fremdartig-frostiger Klangfarbe tost.

Die Chorerfahrenen im Publikum lauern freilich auf die Schlussfuge des Gloria. Wie schnell nehmen sie die? Wie kriegen sie das hin? Respekt, wunderbar leicht.

Ganz toll auch das Solistenquartett (Jutta Bucelis-Dehn, Schirin Partowi, Bernhard Gärtner, Armin Kolarczyk), nicht zuletzt wegen des Zusammenprallens eines vibratoreichen, klirrigen Soprans mit einem geradlinigen, weichen Alt. Dass die Riesendimensionen des Doms die Sänger vor Pianissimo zurückschrecken lassen und auch zum Beispiel die „Sünden der Welt“ recht kräftig klingen, ist wohl unvermeidbar. bk