Das Übersee-Museum attackiert Sitte und Anstand mit der Schau namens „Kaffee und Erotik“

Immer mehr Ehen und Beziehungen gehen in die Brüche, noch bevor die Hebammen Arbeit bekommen. Schuld daran sind Ausstellungen. Unter dem Motto „Sex sells“ ist jetzt auch das Bremer Übersee-Museum an diesen Machenschaften beteiligt. Mit einer Ausstellung zum Thema „Kaffee und Erotik“ unternimmt das früher auf seine Traditionen wie geopolitische und naturkundliche Aufklärung unter besonderer Berücksichtigung der Interessen der Länder der Dritten Welt (Trikont) bedachte Haus einen Angriff auf Glück und Familie.

Kaffee, dieses nützliche und zugleich nüchterne Getränk, soll nach Auffassung der AusstellungsmacherInnen etwas mit – ähem – Erotik zu tun haben. Der aus kochendem Wasser und gerösteten Bohnen des Rötegewächses der Gattung Coffea (arabisch: qahwa) hergestellte Muntermacher soll in Verbindung mit Laster und Wollust stehen, behaupten die Museumsleute weiter und sind auch noch stolz darauf. Dabei zeigt schon ein Blick in die Geschichtsbücher, dass das nicht stimmen kann. Denn es war Bremen (und nicht Wien!) die erste Stadt auf deutschsprachigem Boden, in der Kaffee ausgeschenkt wurde. Bereits 1673 trank man im Schütting (heute: Handelskammer!) dieses Getränk. Bremen, Schütting, 1673 und – ähem – Erotik? Unvorstellbar! Sehen Sie: Genau das Gleiche gilt ganz allgemein für Kaffee und – ähem – Erotik.

Trotzdem ist den AusstellungsmacherInnen kein Aufwand zu gering, um dem Publikum die verquere These (Achtung Hebammen: Kopfgeburt!) unterzujubeln. Exklusiv für die Schau im Sonderausstellungsraum des Übersee-Museums moderiert Verona Feldbusch (angefragt) eine Dauer-Talkshow. Sie trägt ein kaffeebraunes Kleid mit creme-farbenem Besatz am Ausschnitt. In den Talkpausen tanzen die Backstreet Boys (angefragt) mit enthüllten Waschbrettbäuchen durch den mit rund 260 Exponaten bestückten Raum. Hinter Vitrinenglas schlürfen von Beate Uhse (angefragt) ausgestattete Jungfrauen auf laszive Weise eine Tasse Krönung light. Dazu steigen vulkanische Dämpfe aus dem Boden auf. Und zahllose Papageien beobachten die Szenerie.

Gut, dass solche Zeichen (Achtung VolkshochschülerInnen: Ikonographie!) bald nicht mehr verstanden werden. Genau wie auch die Beweise, die für die obskure Behauptung „Kaffee gleich Erotik“ herhalten müssen, nicht mehr verstanden werden. Auf Radierungen aus drei Jahrhunderten (aus der Sammlung Eduscho) und Porzellan (aus der Sammlung Fürstenberg) sind offenbar harmlose Szenen zu sehen. Hübsch bemustertes Kaffeegeschirr ist da ausgestellt. Weil es, so behaupten die AusstellungsmacherInnen, im 18. Jahrhundert in kleinen Services hergestellt wurde, soll Kaffee ein Getränk für intime Stündchen in so genannten Boudoirs gewesen sein. Und die Papageien, strahlenden Fontänen und Dampfschleier auf den Radierungen hätte man in Europa bis ins 19. Jahrhundert als Zeichen für Lasterhaftigkeit und Erotik verstanden.

All das sei wieder im Kommen, behauptet Hartmut Roder von der Handelskunde-Abteilung des Museums. In einem Eiskaffee-Werbespot von Nestlé sieht man wieder Papageien (Achtung KunsthistorikerInnen: ein Bildzitat). Auch neuere Gemälde (zum Beispiel: Venus in einer Kaffeetasse – na ja, schwulstige Bronzen – igitt) und neues Porzellan mit zum Teil schlüpfriger Formensprache aus der Hochschule Burg Giebichenstein sollen die AusstellungsbesucherInnen glauben machen, an der These sei etwas dran. Dabei sagt Roder selbst: „Morgens beim Anschmeißen der Kaffeemaschine denke ich an Erotik höchstens als Reminiszenz an die vergangene Nacht.“

Liebe – ähem – erotisierte LeserInnen: Auch wenn Verona Feldbusch, die Backstreet Boys und Beate Uhse inzwischen wieder abgesagt haben, riskieren Sie einen Blick und Ihre Partnerschaft, gehen Sie in den Sonderausstellungsraum des Übersee-Museums und spüren Sie beim Geruch frisch zubereiteten Kaffees ein unglaubliches Reminiszenz-Gefühl und reißen Sie sich anschließend in der tatsächlich erotisierenden Schmetterlingssammlung die Kleider vom Leib . ck

„Kaffee und Erotik“ bis 16. Januar im Übersee-Museum; im Begleitprogramm: Sammeltassentausch am 5. Dezember von 14-18 Uhr