■ Joachim Fest las im Alliierten Museum in Dahlem aus seiner Albrecht-Speer-Biografie

Ganz am Schluss steht im Publikum ein Mann mit einem beigefarbenen Anzug auf. Er hat keine Frage, er möchte einfach nur etwas erzählen: Er sei der amerikanische Kommandant des Militärgefängnisses in Spandau gewesen, sagt er, und habe hunderte von Stunden mit Albert Speer verbracht: „Ich habe vor diesem Mann mehr Respekt gehabt als vor jedem anderen Menschen.“ Dann erzählt er noch, dass der ehemalige Chefarchitekt und Rüstungsminister Adolf Hitlers ihm in der Gefängniszelle sein Einfamilienhaus entworfen habe: „Die Kosten hat er auf 12.000 Mark genau geschätzt.“

Auch Hitler betätigte sich als Architekt, als er seine Festungshaft in Landsberg absaß: Er plante Bauwerke und Aufmarschszenarien und hielt in seinem Skizzenbuch auch die ersten Ideen für den Umbau Berlins fest, die Albert Speer dann nach seiner Ernennung zum Generalbauinspekteur umsetzen sollte. Das meiste davon wurde nicht gebaut – obwohl Albert Speer sein Bestes gab. Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis in Joachim Fests Speer-Biografie, die er jetzt in Berlin vorstellte: Speer war kein naiver Erfüllungsgehilfe Hitlers, sondern versuchte ihn, zumindest was die Planung der „Welthauptstadt Germania“ anging, auch noch zu übertreffen. Die Einfamilienhäuser kamen erst später.

Im Alliierten Museum in Dahlem, am Donnerstagabend: Joachim Fest liest aus „Speer. Eine Biographie“. Zu so einer Veranstaltung geht man, weil man sich den kalten Atem der Geschichte direkt ins Gesicht pusten lassen will. Joachim Fest nämlich versteht es wie sonst niemand, seine Leser und Zuhörer direkt an die Erlebniswelt Drittes Reich anzuschließen, ohne dabei gleich den schmuddeligen Nazipornografen zu machen. „Die Dinge trieben dem Zusammenbruch zu“, beginnt Fest einen Abschnitt über die letzten Kriegstage.

Man hört, dass Göring „bleich und schwitzend“ in der Reichskanzlei herumstand, dass Hitler „an seinen Nägeln kauend“ hinter seinem Schreibtisch saß, erfährt etwas über die „suizidale Aura, die Hitler umgab“ – und wie Hitler sich von seinem Intimus Speer verabschiedete, als dieser Berlin wieder verließ und sich so dem geplanten kollektiven Selbstmord im Führerbunker entzog. „Also Sie fahren. Gut. Auf Wiedersehen“, soll Hitler gesagt und Speer eine „schlaffe Hand hingehalten“ haben: Joachim Fests Speer-Biografie lebt vom intim abgemischten Lifesound des Dritten Reichs, und die rund zweihundert Zuhörer im Allierten Museum lauschen den Nachrichten aus dem Führerhauptquartier dann auch mit offenem Mund.

Wenn Fest an einer Stelle schreibt, der historische Betrachter müsse „einen Augenblick aus seiner Rolle als distanzierter Chronist heraustreten“, dann ist das kokett. Fest war dabei, sozusagen. Er kannte Albert Speer gut, seit er ihm nach der Entlassung aus der Spandauer Haft im Jahr 1966 bei der Abfassung seiner „Erinnerungen“ beraten hat. Man sah sich danach häufiger.

Marcel Reich-Ranicki hat gerade erst in seinen Memoiren eine makabre Szene beschrieben. 1973 veröffentlichte Fest, der damals Herausgeber der FAZ war, seine Hitler-Biografie. Zum Verlagsempfang hatte er seinen Literaturchef Reich-Ranicki eingeladen, der als Jude nur mit viel Glück den Holocaust überlebt hatte – und eben auch Albert Speer, Hitlers Rüstungsminister. Reich fand die Begegnung furchtbar, Fest hat in Dahlem keine Lust, darüber zu reden. Und sonst hätte seine Nähe zu Speer auch niemanden irritiert, sagt Fest, so als sei das selbstverständlich: Ganz im Gegenteil, er sei immer wieder „von untadeligen Menschen“ gebeten worden, die Bekanntschaft mit Speer zu vermitteln.

„Wie war denn Ihr ganz persönlicher Eindruck von Speer?“ und „Kannten Sie auch seine Töchter?“ – Die Zuhörer wollen die Homestory abfragen, und auch in der kleinen Speer-Biografie-Debatte in den Feuilletons ging es gerade erst hauptsächlich darum, wer dem Nazi-Prominenten am nächsten gewesen sei: In der Woche verteidigte zum Beispiel Gitta Sereny, die vor knapp zwanzig Jahren ebenfalls ein Buch über Speer geschrieben hat, „den Mann, den ich kannte“, gegen die eher zurückhaltend formulierten „Anschuldigungen Fests“, Speer habe von der Judendeportation möglicherweise mehr gewusst, als er später zugegeben habe.

Das vereinfacht den Diskurs natürlich sehr: Fünfzehn Jahre nach dem Historikerstreit und vier Jahre nach Goldhagen geht es heute bei der Beschäftigung mit dem Dritten Reich nicht mehr darum, wer was getan hat, wer wie viel wovon wusste und wie man darüber sprechen darf – sondern darum, wer das kuscheligste Verhältnis zu einem Nazi-Prominenten hatte. Warum es eigentlich keine Himmler-Biografie gebe, fragte einer der Zuhörer: Er warte schon so lange darauf. Vielleicht findet sich ja noch jemand, der Himmler gut kannte. Kolja Mensing

Joachim Fest: „Speer. Eine Biographie“. Alexander Fest Verlag, Berlin 1999. 539 Seiten, 58 DM