■  taz-Serie über Einzelbewerber bei der Abgeordnetenhauswahl (Teil 5): Karl-Heinz Kehrberg aus Spandau will „konsequent unbequem“ sein und schreckt nicht vor Stammtischparolen zurück

Ein Antwortschreiben des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog hat den Ausschlag für die Kandidatur von Karl-Heinz Kehrberg als Einzelbewerber gegeben: Als er ihn aufforderte, disziplinarische Schritte gegen Helmut Kohl zu unternehmen wegen der Verletzung seines Amtseides, habe Herzog geantwortet, dass der Amtseid nur eine politische Willenserklärung sei. Das liegt zwar schon zwei Jahre zurück, doch die Wut und Enttäuschung des 64-Jährigen sind noch immer nicht verflogen. Deshalb tritt Kehrberg, der bis vor einem Jahr in der Anästhesie-Abteilung des Martin-Luther-Krankenhauses gearbeitet hat und als Pensionär noch hin und wieder aushilft, im Wahlkreis 2 in Spandau als Einzelbewerber an. Als parteiloser, wie er betont.

Kehrberg hat so seine Erfahrungen gemacht mit Parteien. In der DDR, aus der er 1985 ausgereist ist, gehörte er zehn Jahre der SED an. Zwar war er der DDR dankbar, dass sie ihm die Möglichkeit gab, eine Ausbildung als Sanitätsoffizier bei der Marine und ein Studium der Politischen Ökonomie zu absolvieren. Doch als der ehemalige Reserveoffizier sich nicht mehr mit der Partei identifizieren konnte, trat er aus und reiste ein Jahr später nach Westberlin aus.

Mit der hiesigen Parteienlandschaft kann sich Kehrberg bis auf gewisse Sympathien für die Grünen auch nicht anfreunden. „Mich ärgern die Wahlsprüche, die nicht mal Hilfsschüler den Parteien abnehmen“, schimpft er. In der DDR hat er sich über die „Diktatur des Proletariats“ aufgeregt und hier im Westen regiere das Parteibuch.

Kehrberg will Veränderungen „durch Offenlegung anstehender Probleme“. Auf den 3.500 Flugblättern, die er verteilt hat, listet er „die negativen Entwicklungen“ auf, für die er CDU und SPD verantwortlich macht: Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Zahl der Sozialhilfeempfänger, Steuererhöhung, Einschränkung medizinischer Leistungen, zunehmende Kriminalität. Doch in einem Punkt irrt Kehrberg. Er behauptet, dass „zehntausende Wirtschaftsasylanten“ Kosten von „hunderten Millionen Mark“ verursachen würden wegen medizinischer Leistungen, die weit über die Grundversorgung hinausgingen. Der Mediziner müsste wissen, dass nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur akute Erkrankungen und Schmerzen behandelt werden.

Der Frührentner betont, weder rechts noch links zu sein. „Ich lasse mich nicht in die rechte Ecke stellen.“ Er nennt seine Haltung „konsequent unbequem“. Dazu gehört für ihn auch, „so ehrlich zu sein und zu sagen, dass die Arbeitslosigkeit nicht behoben werden kann“. Er weiß zwar, dass er wie die meisten Einzelkandidaten keine Chance hat, ins Abgeordnetenhaus zu kommen. Aber es würde ihm schon gefallen, seine mehr als 40 Berufsjahre im Gesundheitsausschuss einzubringen. Wenn nicht, dann hat ihm seine Kandidatur zumindest eines gebracht: „Ich hatte die Gelegenheit, mich zu Wort zu melden.“ B. Bollwahn de Paez Casanova