Palästina, Buchmessen, Adolf Hitler etc.

■ Interessantes Leseverhalten im Nahen Osten: „Mein Kampf“ rutscht auf den palästinensischen Bestsellerlisten hoch

Für umgerechnet ganze fünfzig Pfennig Eintritt kann man die Vierte Palästinensische Buchmesse besuchen, die in diesen Tagen in Ramallah das lesefreudige Publikum lockt. Das Interesse ist groß: Familien und viele Studenten drängen sich durch die engen Tischreihen, auf denen vor allem jordanische Verleger ihr Angebot zum Verkauf bieten. Mindestens zwei Drittel davon sind auf ein begrenztes Publikum zugeschnitten: Fachliteratur, Anleitungen für den Umgang mit Computern, Sprachlehrbücher und mehrere Tische mit Kinder- und Jugendliteratur.

Auffallend dürftig ist das Angebot an Belletristik. In einem Eckchen hat das Goethe-Institut ein Foto vom neuen Nobelpreisträger für Literatur aufgehängt. Doch wer meint, ein Buch von Günter Grass in deutscher Originalsprache oder auch auf Arabisch erstehen zu können, wird enttäuscht werden. „Grass ist sicher noch nicht übersetzt“, mutmaßt Nicola Khalil, Besitzer des größten palästinensischen Buchladens.

Was bei Khalil, alias Abu Ibrahim, am meisten verkauft wird, führt die palästinensischen Bestsellerlisten an. Zu ausgewogenen Umfragen oder gar exakten Statistiken rafft man sich hier allerdings nicht auf. „Die Journalisten rufen mich einmal im Monat an, und ich gebe ihnen meine Verkaufszahlen durch“, erklärt Abu Ibrahim, dem dieses Verfahren ganz unproblematisch vorzukommen scheint. Seit 13 Monaten wird seine Liste vom Erstlingsroman einer algerischen Autorin angeführt. Ihr vor kurzem erschienener neuer Roman hat bereits Platz zwei unter Beschlag.

Einen Wechsel dürfte es in diesem Monat auf nur wenig niedrigeren Rängen geben. Hitlers „Mein Kampf“ war bisher die Nummer sechs. „In diesem Monat rückt er mindestens einen Platz hoch“, weiß Khalil bereits abzusehen. In konkreten Zahlen gesprochen: Während im letzten Monat durchschnittlich sechs Ausgaben von „Mein Kampf“ pro Woche verkauft wurden, dann sind es in diesem Monat schon fast doppelt so viele. Für die neue Beliebtheit von Hitlers literarischem Werk macht Abu Ibrahim den „internationalen Medienrummel nach Veröffentlichung der letzten Bestsellerliste“ verantwortlich.

Warum „Mein Kampf“ überhaupt gekauft wird, liegt, so vermutet der Buchhändler, daran, dass dieses Werk über Jahrzehnte verboten war. Erst vor ein paar Monaten habe Abu Ibrahim aus dem Libanon die Lieferung erhalten, in der das Buch Hitlers zum ersten Mal enthalten war. „Die Leute sind neugierig darauf gewesen.“ Mit politischen Anschauungen habe das nichts zu tun. Auf die Frage, ob das Buch nicht eine gefährliche Propaganda sei, meint Abu Ibrahim gelassen, dass er in seinem Laden „noch viel gefährlichere Literatur“ führe. Damit spielt er offenbar auf die Schriften muslimischer Extremisten an.

Die arabische Übersetzung von „Mein Kampf“ kam zum ersten Mal im Jahr 1963 auf den Markt. Die zweite Auflage stammt aus dem Jahr 1995. Einen reißenden Absatz scheint es nicht gefunden zu haben.

Trotz des guten Listenplatzes hat Abu Ihrahim das Buch nicht mit zur Messe gebracht. Auf seinem Stand gibt es nur ein deutschsprachiges Werk: die Autobiografie des ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim. In der Buchhandlung ist die Auswahl schon deutlich größer: Dort stehen – neben Adolf Hitler – Ingeborg Bachmann, Christa Wolf, Schriften von Martin Heidegger und Friedrich Nietzsche.

„Wir haben sonst noch Hesse“, meint Abu Ibrahim, „aber der ist gerade ausverkauft.“

Susanne Knaul