Brave Mutproben

Ein Trauerspiel: Ute Rauwalds Schauspieler-Workshop „killed by P.“ auf Kampnagel  ■ Von Ralf Poerschke

Wo sind wir hier eigentlich? Am Strand oder in der Badeanstalt oder im Heerlager vor Troja oder auf einem Schülerausflug oder auf einer Engtanzfete oder auf der Dada-Veranstaltung „Kleist für Pubertierende“ oder auf einem Freies-Spiel-Selbsterfahrungs-Tanz-deinen-Psychoscheiß-Workshop? Genau da ungefähr sind wir, bei Ute Rauwalds „Schauspiel“ killed by P. nach Penthesilea auf Kampnagel nämlich. Man muss natürlich wissen, dass diesem zweistündigen Theaterabend vier Monate Proben vorangingen, davon drei Monate reines Improvisieren. Aber man muss es eigentlich auch wieder nicht wissen, denn man sieht es ja.

Die Regisseurin/Autorin/Projektleiterin wollte wohl, ausgehend von den persönlichen Befindlichkeiten von fünf Schauspielerinnen und fünf Schauspielern, diese einem geschlechtsspezifischen Funktionstest in simulierten gruppendynamischen Prozessen unterziehen. Inwieweit das gelungen ist, ist für den nichtteilnehmenden Beobachter schwer zu beurteilen, weil er nur die Ergebnisse quasi als Realtheater sieht, bei dem im übrigen der Kleistsche Ausgangstext lediglich noch brav aufgesagt wird, kraftlos, unmotiviert, fremdkörperhaft. Das wäre geschenkt gewesen, wenn der Rest wenigstens Erkenntnisse förderte: über Rollenverhalten, Hierarchien, die Bedingungen der Liebe in Zeiten des (Geschlechter-)Krieges etwa. Aber nichts davon. Stattdessen werden Gemeinplätze geboten: daß in Männercliquen derjenige das Sagen hat, der die besten Witze erzählt, dass Frauen in Beziehungen zu Maximalforderungen neigen, dass Rauchen für Raucher wichtiger ist als Sex.

Was Ute Rauwalds Regie betrifft, so verlangt sie von ihren Ak-teuren ein Höchstmaß an Entäußerung. Diese Maßnahmen wirken jedoch oft wie aus dem Katalog: das Spielen eines Behinderten, das Mimen des Geschlechtsaktes, die Imitation eines Tieres, albernes Herumhüpfen, der individuelle Dialog mit dem Zuschauer, und jeder bringt seine Aufgabe technisch sauber hinter sich. Der berühmte Funke springt derweil nicht über, jede Geste bleibt im Selbstreferentiellen stecken, keine der vorgeführten schauspielerischen Mutproben vermag zu berühren. Einen einzigen intensiven Moment hat die Inszenierung: Der übergewichtige Robert Joseph Bartl alias Achill erzählt Penthesilea davon, wie er als Kind unter seiner Leibesfülle zu leiden hatte, wie sein Vater Scherze auf seine Kosten machte: „Wenn du nicht bald abnimmst, schenke ich die einen BH.“ In diesem einen Moment gelingt die Überführung des Biografischen in eine authentische Theatersituation. Alles andere dünkt aufgesetzt und aus bloßer Willkür gewachsen.

Es mag angehen, dass Rauwald und ihr Team mächtig viel Spaß bei der Arbeit hatten, und immer noch wird auf der Bühne mehr gelacht als im Publikum. Das ist ein alter Trick von Witold Gombrowicz, und bei ihm findet man ebenfalls das Vabanquespiel mit der Peinlichkeit. Allein hier endet es am Bühnenrand. Schlimmer noch: Je mehr Rauwald nach Entgrenzung strebt, desto hermetischer wird das Ganze, bleibt dabei aber auch heillos zerfahren, fragmentarisch, unfertig, inkonsistent. In Zukunft, das heißt: am Schauspielhaus, wird sich Rauwald fragen müssen, ob ihr Konzept der radikal-privaten Schauspieler-Zentrierung weiterhin einer dezidierten Stück-Referenz bedarf respektive ob das nicht jetzt schon im Grunde Etikettenschwindel ist. Denn dass sich hier immer mal wieder Griechenkönige und Amazonen mit Figurennamen ansprechen, ändert ja nichts an dem, was sie sagen. Allerdings bleibt die Regisseurin bezogen auf Kleist im Genre: killed by P. – ein Trauerspiel.

noch 12. bis 17. und 20. bis 22. Oktober, 19.30 Uhr, k1