Raketenpost vom Winterhilfswerk

■ Die Deutsche Post schickt eine Rakete mit Briefen ins All, die ihr Ungemach bereiten könnte. Was die Postler „einzigartig“ nennen, kennen Philatelisten seit über 60 Jahren

Halb im Gelächter, halb vor Schreck drohte der Ingenieur Walter Michael Hopferwieser an einem Semmelstück zu ersticken, als ihm ein philatelistischer Sammlerfreund die Neuigkeiten durchtelefonierte. Die Deutsche Post wolle mit einem Projekt SpaceMail zur „faszinierendsten postalischen Aktion der Welt“ abheben. Von einer ersten „Postrakete“ war da die Rede, von fernen Galaxien und unendlichen Weiten, in die 2.000 auserwählte Briefe gesandt werden sollten. Philatelist Hopferwieser: „Eine unseriöse Aktion. Ich verstehe nicht, was daran spektakulär sein soll.“ Derlei „Raketenpost“ nutzten schon die Nazis gerne, um militärische Raketentests mit Spendenaktionen für das kriegsvorbereitende Winterhilfswerk zu verbinden.

Regelmäßig wurden per Versuchsrakete Hunderte von Briefen in die Luft geschickt, die später auf dem Landweg als Briefpost zu ihren Empfängern fanden und im Briefmarkenhandel für Umsatz sorgten. Die dazugehörigen Vignetten, Stempeldrucke und Briefmarken kursieren heute noch im Briefmarkenhandel. Rund sechzig Jahre später schickt die Deutsche Post gemeinsam mit der DaimlerChrysler-Weltraumtochter Beos (Bremen) eine einstufige Feststoffrakete vom Typ S 30 in den Weltraum. Zehn Minuten später soll das Geschoss irgendwo über dem Meer wieder niedergehen. 180 Kilometer hoch soll's gehen – damit fliegt die Rakete ein bisschen höher als der NASA-Schimpanse Sam, den die Amerikaner 1961 als Testaffen ins All schickten. Start ist Anfang nächsten Jahres vom brasilianischen Weltraumbahnhof Alcantara. An den Kosten des sogenannten Forschungsfluges, dessen Zweck im wesentlichen Werbung für Weltraumfrachtflüge sein soll, beteiligt sich die Deutsche Post mit rund einer halben Million Mark. Bei Nichtstart droht dem Betreiber Dasa eine Vertragsstrafe in Höhe von 150.000 Mark. Die Fracht der „Forschungsrakete“ (Postdirektor Richard Crux) besteht im Wesentlichen aus einem Container mit 2.000 Briefen, deren Absender zuvor unter interessierten Postkunden ausgelost wurden. Tausende anderer Briefe, nach unterschiedlichen Kriterien ausgesucht, sollen im Weltall ausgesetzt werden – zwischen allerlei Raketenmüll trudelnd, der schon heute das genaue Platzieren von neuen Satelliten immer unmöglicher macht, wie Experten befürchten.

Dem Mail-Spektakel, von Spöttern als Spacemüll verhöhnt, gehen nach Angaben der Post zwei bundesweite Sendungen an alle Haushalte voraus (geschätzte Kosten: fünf bis sechs Millionen Mark). Sinn der Aktion: Popularisierung des Briefes. Verbunden damit ist ein Gewinnspiel, an dem jedermann für gewöhnliche Portokosten von 1,10 Mark teilnehmen kann. „Preisausschreiben-Freaks“ (Postjargon) sollen auf ihrer „ständigen Suche nach außergewöhnlichen Preisen“ geködert werden. Zu dieser zunehmenden Klientel der Gewinnspieler, die 13 Prozent des gesamten Versandvolumens ausmachen, zählen etwa vier Millionen Kunden. Postkunde Hans Zerbel, Leiter der Briefmarkenabteilung in der Berliner Bundesdruckerei, schimpft: „Das ist Bauernfängerei!“ Wesentlich billiger bietet die Briefträger-Post die Teilnahme an ihrem Gewinnspiel – zu gewinnen sind drei Autos und ein paar Brasilienreisen – ausgerechnet mit Hilfe ihrer eigenen Konkurrenz, der Elektronischen Post, an. Via E-mail sind allenfalls ein paar Pfennige für Telekom und Provider fällig – die Post selbst hat das Nachsehen.

Mit Hilfe des Weltraum-Events soll Briefeschreiben, Marketingleuten der Post zufolge, so kultig werden wie Star Wars und Trekkies zusammen. Originalton Post: „Auf Erden ist bereits alles erforscht“. Darüber hinaus sollen neue Anreize für die rund 800.000 Sammler und Philatelisten geschaffen werden, deren harter Kern immer kleiner, weil älter, wird. Philatelist Walter Hopferwieser, der Guru unter den sogenannten „Raketenpostlern“, zweifelt am ökonomischen Ausgang der „irrsinnigen Aktion“ und verweist auf eine Viertelmillion Briefe, die die amerikanische Post im Space Shuttle Challenger transportierte, um sie später philatelistisch zu vermarkten. „Die haben die für 13 Dollar damals verkauft. Heute werden sie um 20 Dollar gehandelt. Inflationsbereinigt ein glatter Verlust.“ Hopferwieser verschlug es auch deswegen die Sprache, weil die Deutsche Post sich anschickt, eine Aktion als „einmalig“, „erstmalig“, mindestens aber „einzigartig“ zu verkaufen, die es so oder so ähnlich seit fast siebzig Jahren immer mal wieder gegeben hat.

Der Ingenieur, im Hauptberuf Betreiber eines mittelständischen Ingenieurbüros in Salzburg, muss es wissen: Er ist Prüfer im renommierten Bund philatelistischer Prüfer e. V., München, und Top-Experte für das Sammlergebiet „Raketenpost“. 1993 veröffentlichte er einen Briefmarkenkatalog („Kosmische Post“), der Hunderte von Raketenstarts nachweist, zu deren Anlass Briefe frankiert, gestempelt und transportiert wurden. Manche wurden mit privaten Vignetten versehen und von der Post gestempelt. Hopferwieser: „SpaceMail ist ein alter Hut!“ Und ein Plagiat: Die US-Firma Spaceports betreibt mit SpaceMail einen kostenlosen E-mail-Service. Werner Graf