Immer schneller, schwerer, perfekter

■ Wettbewerb 1: Der Bremer Klavierwettbewerb ist ein Mammutunternehmen auf höchstem internationalen Niveau. Beim siebten Wettspiel traten 22 junge PianistInnen an. Doch keiner war gut genug für den ersten Preis

Das Ungute an Wettbewerben im künstlerischen Bereich lässt sich kaum abstellen. Denn das Herausfinden des Besten, Schwächeren und Letzten ist anders als beim Sport in hohem Maße auch subjektiven Kriterien unterworfen. Doch immer wieder haben KünstlerInnen, die nie Wettbewerbe gewonnen haben, lebenslange Karrieren gemacht, und die SiegerInnen bleiben gelegentlich Eintagsfliegen. Und für alle Wettbewerbe der Welt gilt: Immer mehr Kandidaten spielen immer schwerere Stücke immer perfekter – was Fragen an den vorangegangenen Drill in der Kindheit aufwirft. Der greise Artur Rubinstein wurde einmal gefragt, was er von den Nachwuchspianisten hielt. Er sagte, dass sie eine „phänomenale Technik“ hätten, aber „die Musik nicht lieben. Man kann nicht besser Klavier spielen als die Jungen, aber man kann besser Musik machen“.

Das Gute an Wettbewerben ist das direkte Messen mit gleichaltrigen KollegInnen aus aller Welt. Da bestehen die Chancen, auch außerhalb der Jury Menschen auf sich aufmerksam zu machen und einmal ein ungeheures Durchhalten auszuprobieren, wie es das Mammutunternehmen namens Bremer Klavierwettbewerb verlangt. Am Ende gibt es Radioübertragungen und CD-Aufnahmen. Und es ist eben im internationalen Agentenmarkt so, dass die (erfolgreiche) Teilnahme an einem Wettbewerb eine unverzichtbare Hilfe für die Karriere ist. ProfessorInnen und StudentInnen müssen darauf reagieren. So sieht auch der zweite Preisträger Emre Elivar aus der Türkei einen Sieg nicht als das Ziel an: „Einen Preis zu bekommen, ist nicht die Grundidee der Teilnahme“, sagte er.

Zum siebten Mal wurde nun in Bremen der Bremer Klavierwettbewerb ausgetragen, dessen Renommee seit seiner Gründung 1987 – die ersten beiden Wettbewerbe waren noch national – stetig wächst. Neben vielen Unterstützern und Helfern sind der Landesmusikrat, Radio Bremen, die Glocke und die Sparkasse die Hauptträger. Fünfzig InterpretInnen hatten sich angemeldet, 22 sind gekommen und hatten Schwerstes zu spielen: im ersten Durchgang eine Sonate von Joseph Haydn, Etüden von Chopin und Bartók, Debussy, Liszt und Ligeti, ein zeitgenössisches Werk. Nach diesem Durchgang urteilte die Jury nur mit Ja und Nein, die differenziertere Punktzählung kam erst im zweiten Durchgang. Hier ging es dann um Bachs französische Suiten, eine große Beethoven-Sonate und ein großes romantisches Werk. Das Finale bedeutet Orchesterdurchgang: Klavier-Konzerte von Liszt, Schumann, Mendelssohn-Bartholdy, Bartók und Ravel.

Wer in das Finale gelangt, muss drei komplette Klavierabende auswendig vorbereitet haben. In der Jury saßen wieder international gefragte PianistInnen: Cécile Ousset, Peter Rösel, Maria Tipo, Valentin Gheorghiu und Begona Uriarte unter dem Vorsitz von Peter Schilbach – Ex-Abteilungsleiter bei Radio Bremen und von Haus aus Pianist.

Kamen in den vergangenen Jahren die meisten Ameldungen aus osteuropäischen Ländern, haben sich diesmal überraschenderweise sechzehn aus Deutschland angemeldet, gefolgt von elf aus Russland und zehn aus Rumänien, Bulgarien und der Ukraine – dabei doppelt so viele Männer als Frauen. Die Deutschen hatten keine Chance, was nichts heißt: „Das Niveau war außerordentlich. Keine Ausrutscher nach unten, aber eben auch nicht nach oben“, so Schilbach. Im Orchesterfinale spielten Emre Elivar, Alexandru Serban aus Rumänien und Alexandre Pirojenko aus Russland. Dabei war es interessant, dass sowohl Elivar als auch Pirojenko das Konzert in c-Moll von Liszt spielten. Dass kein erster Preis, sondern zwei zweite Preise à 10.000 Mark vergeben wurden, deckt sich mit meiner Einschätzung: Beide Interpretationen waren bestechend in der manuellen Bewältigung und der Klarheit der Konzeption, aber ein Letztes, das I-Tüpfelchen, fehlte.

Elivar musizierte vielleicht zu leicht mit einer wunderbaren Mischung zwischen Lyrik und Attacke dieses ausdrucksmäßig vielseitigen Stückes, Pirojenko mühte sich um einen größeren Nuancenreichtum, den er konzeptionell nicht ganz durchhielt und auch an genereller Durchhaltekraft minimal verlor. Alexandru-Catalin Serban bot Bartóks drittes Klavierkonzert. Die Wiedergabe verlangt weniger nackte Technik als vielmehr eine geatmete Kantabilität und Geschmeidigkeit, der der junge Rumäne mit bohrender Intensität nachging, als wolle er jeden Eindruck des nur Handwerklichen weit hinter sich lassen. Er erlangte den dritten Preis (5.000 Mark).

Dann gab's noch Förderpreise: Emre Elivar sahnte die Prämien für die beste Bach- und die beste romantische Interpretation ab, Pirojenko die für die beste Haydn-Interpretation, und Serban für die beste Zeitgenössische. Die jüngste Teilnehmerin, die 18-jährige Ekaterina Tchikova („stinkbegabt!“, so Schilbach) erhielt eine Chopin-Gesamtausgabe. Viel Jubel in der gut besetzten Glocke, auch für die begleitende Nordwestdeutsche Philharmonie . Ute Schalz-Laurenze