Die SPD braucht eine Denkpause

■  In der SPD beginnt nun eine Strategiedebatte. Eine Fortsetzung der Großen Koalition gilt als wahrscheinlich. Schwere Verluste für die Grünen. PDS bleibt drittstärkste Kraft

Das Wahlergebnis für die SPD ist besser als erwartet, doch Grund zur Freude hatten die Genossen nicht. Der historische Tiefstand von 1995, als die SPD 23,6 Prozent erzielte, wurde erneut unterschritten. Nach einer Hochrechnung von 20 Uhr lagen die Sozialdemokraten bei 22,4 Prozent.

Eine Fortsetzung der Großen Koalition zeichnet sich zwar ab, doch eine schnelle Entscheidung wird nicht fallen. Der stellvertretende Landesvorsitzende Hermann Borghorst plädierte dafür, dass sich die Sozialdemokraten ein bis zwei Wochen Zeit nehmen sollten, um die Fehler des Wahlkampfes zu analysieren und eine Strategie für eine Erneuerung der SPD zu entwickeln. „Das Wahlergebnis ist eine klare Niederlage“, sagte Borghorst. Er wollte sich nicht festlegen, ob er sich für eine Fortsetzung der Großen Koalition oder den Gang in die Opposition aussprechen werde. „Wir müssen in den nächsten fünf Jahren alles daran setzen, aus diesem Tief herauszukommen.“ Das Ziel sei, die SPD in fünf Jahren wieder über 30 Prozent zu bringen.

Finanzstaatssekretär Frank Bielka, der dem rechten Britzer Kreis angehört, sprach sich für die Fortsetzung der Großen Koalition aus. Er erwarte darüber aber „eine längere Debatte“. Parteivize Klaus-Uwe Benneter, der der Sprecher der Parteilinken ist, wollte sich in der Koalitionsfrage ebenfalls nicht festlegen. Er hatte vor der Wahl erklärt, bei einem Ergebnis unter 23,6 Prozent habe schon am Wahlabend keiner der Senatoren mehr ein Mandat für die Große Koalition. Sibyllinisch sagte er : „Man wird sich auch andere Oppositionen anschauen müssen.“ Die SPD müsse aufpassen, dass sie nicht zum Steigbügelhalter für die CDU werde.

Der einzige Verfechter einer Oppositionsstrategie war gestern Abend der innenpolitische Sprecher der SPD, Hans-Georg Lorenz.

In der Opposition könne sich die SPD besser erneuern. Gegenüber einer CDU-Minderheitsregierung, die im Parlament auf die Stimmen der SPD angewiesen sei, würde es ihr leichter fallen, sozialdemokratische Positionen durchzusetzen.

Die Befürworter einer CDU-Minderheitsregierung setzen darauf, dass eine solche Regierung nicht die volle Legislaturperiode von fünf Jahren durchhalten würde. Bei vorgezogenen Neuwahlen könne dann erneut versucht werden, eine rot-grüne Mehrheit zu erreichen.

Die CDU konnte nicht so stark zulegen wie erwartet. Obwohl sie von der Enttäuschung über die rot-grüne Bundesregierung stark profitierte, gewann sie „nur“ drei Prozent dazu. Im Westteil der Stadt erzielte sie mit 48,1 Prozent jedoch ihr historisch bestes Ergebnis.

Schwere Verluste mussten die Grünen hinnehmen. Der Bundestrend, so die Analyse der meisten Abgeordneten habe stärker durchgeschlagen als erwartet. Nach Hochrechnungen von 20 Uhr lagen die Grünen knapp unter der Zehn-Prozent-Marke. Landesvorstandssprecher Andreas Schulze bezeichnete das Ergebnis als „enttäuschend.“ In den letzten vier Wochen hätten bundespolitische Themen auch an grünen Wahlkampfständen eine dominierende Rolle gespielt. Es sei schwer gewesen, mit landespolitischen Themen durchzudringen.

Die Grünen hatten im Wahlkampf ganz auf ihre Verdienste als Oppositionspartei gesetzt und die Distanz von der Bundespolitik gesucht. Anders als die SPD, die das Sparpaket offensiv im Wahlkampf verteidigte und erläuterte, hatten die Grünen versucht, es auszublenden. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, erklärte, es sei richtig gewesen, das umstrittene Sparpaket der Bundesregierung aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Nun seien auf der Bundesebene radikale Änderungen nötig. Der Mittelweg sei für die Grünen tödlich. Sie müssten auch ihre Kompetenz in sozialen Fragen deutlicher vermitteln.

Wie dramatisch der Einbruch der Grünen ist, lässt sich auch an den absoluten Zahlen erkennen: die Grünen verloren über 60.000 Wähler, das heißt fast ein Viertel ihrer Wählerschaft. Verloren haben die Grünen vor allem im Ostteil der Stadt. Dort halbierten sich die Ergebnisse im Vergleich zur letzten Abgeordnetenhauswahl. Im Westteil der Stadt können die Grünen jedoch auf ihre Stammwähler zählen. Hier blieben sie mit 12 Prozent nahezu stabil. Dorothee Winden