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Keine Chance für die Knabenkapelle

Nach dem 0:0 gegen die Türkei sind der orientalisch gelassen zuckende Teamchef Erich Ribbeck und seine tapfer kämpfenden Mannen zwar für die EM qualifiziert, aber auch etwas ratlos  ■   Aus München Albert Hefele

Keine Chance für die Knabenkapelle Nördlingen, die – in schmucke Trachten gesteckt – dazu auserkoren war, die Hymnen zu liefern. Keine Chance, sich Gehör zu verschaffen. Mochten die schwäbischen Knaben auch noch so heftig die Backen aufblasen, es gelang ihnen nicht im Ansatz, den Geräuschpegel der türkischen Zuschauer zu übertönen, die ihre Nationalhymne mit einer für einheimische Verhältnisse geradezu beängstigenden Intensität intonierten.

Mit beängstigender Qualität, was die Lautstärke anging, und – wie sich im Nachhinein herausstellte – auch in einer manchen Einheimischen stark verunsichernden Quantität.

Das ausverkaufte Münchner Stadion wurde nicht nur akustisch von den Gästen dominiert. Weit über die Hälfte der Zuschauer schwenkte die Fahne mit dem Halbmond. Das machte Eindruck. Offenbar auch bei Teamchef Erich Ribbeck, der in der Pressekonferenz von ca. 50.000 Türken fabulierte und die mühsame Leistung seiner Truppe damit entschuldigte, dass man einen „Auswärtspunkt“ habe holen müssen.

Das sollte wohl ironisch klingen, aber er hatte recht damit. Nicht nur die Dominanz der Zuschauer erinnerte an ein Auswärtsspiel, auch die taktische Einstellung des Gegners war die einer Heimmannschaft. Die Türkei wollte, für jeden klar erkennbar, offensiv spielen und gewinnen. Zuständig dafür waren vor allem Sergen Yalcin, Tayfur Havutcu und Hakan Sükür. Immer wieder über die linke Seite von dem unermüdlich nachrückenden Abdullah Ercan unterstützt. Das war natürlich keine zufällige Konstellation. Der türkische Trainer Mustafa Denizli wusste sehr genau, dass sein Pendant Ribbeck auf der rechten Seite saftige Probleme hatte. Didi Hamann und Bernd Schneider sind nicht die erste Wahl. „Ich hatte unter den momentanen Bedingungen einfach keine andere Möglichkeit“, der Teamchef zuckte die Schultern mit nahezu orientalischer Gelassenheit.

Überhaupt schien Ribbeck erstaunlich gelassen, obwohl ihm klar sein musste, dass sein Team nur um Haaresbreite die direkte Qualifikation geschafft hatte. Der Gegner hatte die dicken Chancen. Darüber bestand auch für Oliver Kahn kein Zweifel: „Mindestens drei hundertprozentige“. Mindestens. Und obwohl Oliver Bierhoff der Meinung war, in der deutschen Mannschaft sei anfangs alles in schönster Ordnung gewesen, hätte die Türkei nach knapp zehn Minuten bereits mit 2:0 führen können, und niemand hätte einen Pieps dagegen sagen dürfen. Der über eine Stunde beste Mann auf dem Platz, Sergen Yalcin, und Tayfur Havutcu hätten schon zu diesem Zeitpunkt die Sache klarmachen können. Denn die deutsche Mannschaft wäre wohl nicht in der Lage gewesen, das Spiel noch mal zu drehen. Nicht gegen dieses Publikum und diesen Gegner, der den ihm angehängten Klischees – technisch perfekt, aber schlampig und undiszipliniert – nur im ersten Teil entsprach.

Ansonsten spielten die Türken ziemlich deutsch. Sehr diszipliniert und sehr laufstark. Mehmet Scholl staunte nicht schlecht: „Die sind gerannt wie die Hasen. Wenn das die ganze zweite Halbzeit so weitergegangen wäre, hätten wir Probleme gekriegt.“

Noch mehr Probleme, müsste man dazu anmerken. Und Scholl gleichzeitig attestieren, dass er einer der wenigen im deutschen Team war, die positive Akzente setzen konnten. Zusammen mit dem fleißigen Neuville und dem wie immer kämpfenden Jens Jeremies. Hinten war Kahn trotz eines angesichts des damaligen Kasperle-Tores möglichen Bursa-Traumas eine Bank.

Ansonsten war dem Betrachter am wohlsten, wenn sich Linke um die Stürmer der Türken kümmerte. Babbel und Matthäus hatten so ihre kleinen Abstimmungsprobleme; im Falle Matthäus auch Schnelligkeitsprobleme. Sergen Yalcin überlief ihn zweimal. Das sah nicht gut aus und darf als Zusammenfassung des Matthäusschen Spieles auch nicht so stehen bleiben. Der zügig dem Länderspielweltrekord Zustrebende hatte auch wirklich gute Zweikampfszenen und einen tollen Auftritt kurz nach der Pause, als er mit links fast das 1:0 gemacht hätte.

Das aber wäre der Gipfel der Ungerechtigkeit gewesen, denn darüber war man sich nach Spielschluss einig: das 0:0 geht voll in Ordnung und war eher glücklich. Teamchef Ribbeck war sicher nicht glücklich, gelangte aber über die Einsicht zur Zufriedenheit: „Wir können froh sein, dass wir mit zwei Punkten Vorsprung in dieses Spiel gegangen sind“.

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