■ Gewerkschaftstag: Die IG Metall fordert 30-Stunden-Woche
: Mächtig, ohne klares Ziel

Bescheidenheit ist nicht die Stärke der IG Metall. Sie wäre ja auch nicht die stärkste aller starken Gewerkschaften, wenn sie nichts verlangen würde. Am Ende ihres Gewerkschaftstages steht die Forderung, mit der die Metaller ins nächste Jahrhundert aufbrechen wollen: die 30 Wochenstunden.

Dieser Vorstoß basiert auf der einfachen Rechnung, dass für jede Arbeitsstunde, die einer nicht arbeit, ein anderer beschäftigt wird. Das klingt logisch, ist aber unrealistisch. In der Vergangenheit scheiterte der Versuch, die Arbeitszeit für den Lagerhelfer ebenso wie für den Entwicklungsingenieur per Tarifvertrag über einen Kamm zu scheren. Bei generellen Arbeitszeitverkürzungen mussten hinterher immer komplizierte Ausnahmen für bestimmte Bereiche gefunden werden. Außerdem ist fraglich, ob generelle Arbeitszeitverkürzungen wirklich neue Arbeitsplätze bringen. Denn bisher haben die Arbeitgeber (gerade im Metallbereich) jede Arbeitszeitverkürzung mit Rationalisierungen beantwortet. Massenhaft neue Arbeitsplätze kamen dabei nie heraus.

Auch wenn die 30-Stunden-Woche für alle ein längerfristiges Ziel sein soll, die Hoffnungen, die sich daran knüpfen, sind gewagt. Das Arbeitsvolumen ist kein Kuchen, der sich in gleich große Teile scheiden lässt. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen auf marktbedingte und saisonale Auftragsschwankungen reagieren können. Um Arbeitsplätze zu erhalten, sollten Arbeitszeiten maßgeschneidert werden. Die IG-Metall-Kollegen bei BMW oder VW kennen den mühevollen Prozess, solche Verträge auszuhandeln. Niemand ließe sich heute auf eine starr fixierte Wochenarbeitszeit ein. Sie wäre eine simple Antwort auf das komplizierte Problem von Massenarbeitslosigkeit und der Zukunft der Arbeit. Im kommenden Jahrhundert werde es nur ein bestimmtes Potential von Kernarbeitsplätzen geben, sagen Experten voraus. Um sie herum gruppieren sich mehr oder weniger frei schwebende Arbeitsplätze, die bei Bedarf abgerufen werden.

Die unverzichtbaren Kernjobs werden noch mehr Arbeitszeit erfordern als heute. Zudem sind sie kaum teilbar, weil eine Vollzeit-Spezialistin effektiver ist als drei Teilzeitkräfte. Unter diesen Vorzeichen scheint eine solidarische Arbeitszeitpolitik wie von der IG Metall gefordert aussichtslos. Die Gesellschaft braucht andere Rezepte als die 30-Stunden-Woche um mit Arbeitslosigkeit fertigzuwerden. Danach aber hat die IG Metall auf ihrem Kongress noch nicht einmal gesucht. Annette Rogalla